Seegeschichten von Kapt. Erwin Schwarz

Seegeschichten 7

Santos Reede

     

Reiserouten 1984

M/S "Marita Leonhardt"

 

 

Baujahr: 1969 Bauwerft: Rickmerswerft, Bremerhaven
Heimathafen: Hamburg Flagge: Deutsch, Panama, Cypern
Type: General cargo BRT: 9393
TDW: 15210 mto HP: 7200 PSe
Speed: 16 kn max. LOA: 135,2 m
Fahrtgebiet: Große Fahrt Angemustert: 29.05. 1984 Alexandria
Abgemustert: 05.11.1984 Hamburg Dienstgrad: Kapitän

Geschichte: 1969 als "Altenfels" in Fahrt gekommen, 1971 umbenannt in "Marita Leonhardt", 1979 umgeflaggt nach Panama, 1983 umgeflaggt nach Cypern, 1995 nach Syrien verkauft, neuer Name  "AMNA S", 1999 an Alang zum Abbruch.

Santos Reede. Abends gegen 8 Uhr. Lufttemperatur so bummelig 25 Grad. Noch kein Regen. Flaute. Kaum Dünung. Wetterleuchten über Land aus Richtung Rio. Sehr angenehm. Ich sitze auf dem Masters Chair in der Nock. Dieser Stuhl ist die wunderliche, aber äußerst praktische Konstruktion eines längst verschollenen Schiffzimmermanns aus Zeiten, als es diesen ehrwürdigen Beruf noch gab. In jetziger Zeitweil, in denen hölzerne Schiffsteile und Ausrüstungen nicht mehr vorhanden sind, sind auch die Zimmerleute nicht mehr vorhanden; so "by and by" wegrationalisiert im Wege der Entlassungsproduktivität.
Die Sitzfläche und Rückenlehne des Stuhles sind mit Werg gepolstert und sorgfältig mit Segeltuch bespannt, die Armlehnen flach und so breit, dass Aschenbecher und Kaffeemug in den dafür vorgesehenen Ausnehmungen bequem Platz darauf finden. Wegen notwendiger Standfestigkeit bei Seegang ist dieser hochbeinige Stuhl, der einem Hochstuhl für Kleinkinder nicht unähnlich ist, mit 4 breit gespreizten Beinen und einer ausgeklügelten Laschvorrichtung versehen. Er ist von ausreichender Höhe, damit auch kleinformatige Schiffsführer, wie zum Beispiel der reich betresste kleine Herr mit dem erhobenen Zeigefinger auf dem beigelegten Kalenderbild, von dem normalen und üblichen Standort neben dem Rudergänger noch bequem aus den Frontfenstern den Überblick über Wind und Wetter, den übrigen Schiffsverkehr und innerhalb der Brücke über die wichtigsten Instrumente wie Kompass, Ruderlageanzeiger und Umdrehungsanzeiger behalten können. Auch kann von diesem Stand- bzw. Sitzort mit einem Blick durch die Seitenfenster und Türen der Ausgucksmann in der Nock unter Kontrolle gehalten werden, ob dieser nicht ewa schläft, oder sich auf den Lampenkasten setzt (was das Schlafen ja befördert) oder, wie auch schon vorgekommen ,seine Jacke um den vorhandenen Sonnensegelstützen geknöpft hat und sich dergestalt gegen Umfallen beim Schlafen im Stehen gesichert hat, oder Kopfhörer oder Ohrenstöpsel benutzt und verbotenerweise Musik hört, was ihn dann naturgemäß daran hindert, seine Umwelt akustisch wahrzunehmen und bei eventuellen ungewöhnlichen Geräuschen Alarm zu schlagen.
Ein wahres Wunderwerk ist so ein Möbel von derartiger Vielseitigkeit; allerdings zu einem hohen Preis: das Trumm ist hässlich und so schwer und sperrig, dass zwei ausgewachsene Matrosen für eine Positionsänderung vonnöten sind; aber es ist eben der Masters Chair und niemand als der Kaptän hat das Recht, darauf Platz zu nehmen. (Im Gegensatz zum Mammychair, auf dem ja nun wirklich jeder Platz nehmen kann; oder dem Bootsmannsstuhl, in den allerdings nur selten ein Bootsmann zu sitzen kommt, wohl eher doch der gewandteste und leichteste Leichtmatrose, der darauf in die luftigsten Höhen gehievt wird, um das laufende und stehende Gut zu labsalben.)
Oben beschriebenes Sitzmöbel habe ich mir in die Backbord Nock stellen lassen und da sitze ich nun also und alles mögliche geht mir durch den Kopf wie das eben so ist wenn man nur so herumsitzt.

Der Koch! Ich muss was wegen des Kochs unternehmen; er stiftet Unfrieden an Bord. Es gibt zwei etwa gleich starke Fraktionen in der Filipinocrew, eine für ihn und die andere gegen ihn. Dieser Mensch ist gewalttätig und zwingt Leute dazu, für ihn zu arbeiten und ihn zu decken wenn er mal wieder wegen Suff ausgefallen ist oder aus der Ladung gestohlen hat oder Proviant verkauft hat; was immer. Eine Tagebucheintragung und Verwarnung hat er ja schon, bei der nächsten fliegt er fristlos. Santos ist eine gute Gelegenheit, da fällt er bestimmt wieder mal aus und ab geht die Post in Richtung Manila.

Das Wetterleuchten wird stärker; wir werden ein starkes Gewitter bekommen mit einigem Wind im Gepäck. Hier auf der Reede kann es kräftig von der Serra, oben von Sao Paulo her herunterstürmen. Beaufort 8-9 in Böen sind drin.
Wie viel Kette ist eigentlich ausgesteckt? "Dritter, wie viel Längen Ankerkette haben wir draußen?" " Einen Augenblick Sir, ich sehe mal nach im Tagebuch" sagt der philippische Dritte Offizier und dann " wir haben drei Schäkel zu Wasser, Sir. Erwarten sie noch stärkeren Wind für heute Nacht, Sir " fragt er dann. "Ja, falls die Gewitterfront nah an unseren Ankerplatz herankommt, denke ich dass der Wind bis auf Stärke 8-9 zunimmt und es wird heftig von der Serra herunter blasen". Ich denke, ich lasse mehr Kette ausstecken und für den Notfall die Maschine klar machen;der Chief wird quarkig sein, aber der ist eh meistens schlechter Laune weil er, wie alle Chiefs, behauptet, dass er auf diesem Schiff ja doch alles alleine machen muss.

6 Schäkel, na, besser 7, zu Wasser dürften genügen.
"Dritter, gehen Sie zusammen mit dem Wachsmann nach vorne und stecken Sie mehr Kette aus; so 7 Schäkel zu Wasser dürften genügen. Ich werde in der Zwischenzeit die Hauptmaschine klar machen lassen." "Ja, Sir, alles gut verstanden, Kette ausstecken bis 6 Schäkel zu Wasser."

Ab geht er um den Auftrag auszuführen. Ich klingle den Chief an und wie erwartet ist er quarkig "Wegen dem bischen Wetterleuchten so ein Aufstand und nachher ist doch wieder nichts gewesen"."Tun Sie man wie ich Ihnen sage; Sie brauchen nicht unten zu bleiben; machen Sie den Jockel nur klar und blasen durch und stellen Sie dann auf Fernsteuerung Brücke, ich fahre dann ein Probemanöver und Sie können danach schlafen gehen so Sie es denn wünschen, oder ein Bier trinken oder auch mir bei dem jetzt noch herrlichem Wetter hier oben ein bisschen Gesellschaft leisten."
Das UKW-Gerät auf der Brücke quasselt und schnattert die ganze Zeit vor sich hin.
Der internationale Anruf und Notrufkanal 16 muss von Gesetz wegen immer abgehört werden solange das Schiff nicht an der Pier liegt. Mit den modernen Geräten ist eine Doppelkanalüberwachung möglich und hier auf Santos Reede ist der Kanal 10 der Lotsenstation noch zusätzlich eingeschaltet.
"Santos Pilot, Santos Pilot, Santos Pilot, griechisches Motorschiff A. Karamanlis ruft Santos Pilot. Können Sie mich hören?" Unverkennbar harter griechischer Akzent. Keine Antwort von Santos Pilot.
"Santos Pilot, Santos Pilot, Santos Pilot, hier ist griechisches Schiff A. Karamanlis, wir rufen Santos Pilot. Wie ist der Empfang?" Keine Antwort.
So geht es noch einige Male, bis auf der Lotsenstation jemand wach wird und sich folgendes Gespräch entspinnt:
"Ja, A. Karamanlis hier ist Santos Pilotstation, guten Abend Kapitän, was kann ich für Sie tun?"
"Ja, Santos Pilotstation von A. Karamanlis, Ihnen auch einen guten Abend; ich benötige einen Revierlotsen und einen Hafenlotsen für Santos, mein ETA Ansteuerungstonne ist 2200 Uhr Ortszeit; haben Sie Informationen für mich, wann und wo das Schiff längsseit gehen soll?"
"A. Karamanlis, der Lotse wird bei Ankunft an Bord kommen und wird sie am Liegeplatz 23 auf der Stadtseite längsseits bringen, Lotsenleiter bitte an Backbord riggen, 3 Fuß über Wasser und machen sie bitte ein gutes Lee für das Lotsenboot. Rufen Sie bitte 20 Minuten vor Ankunft Ansteuerungstonne noch einmal an.

Der Kaptän bestätigt alles umständlich und dann gibt er dem Lotsen noch weitere Informationen über Tiefgang vorn und hinten, Länge und Breite, Tonnage, letzter Hafen, nächster Hafen, wie viele  Schlepper er zum Anlegen benötigt und was so neugierige Behörden sonst noch alles wissen müssen, um kräftig an der Gebührenschraube drehen zu können. Ich gehe derweil mal nach drinnen und werfe einen Blick ins Radar; die Gewitterwolken sind gut zu erkennen und bewegen sich recht schnell auf uns zu, und das da, das muss der Grieche sein, er kommt von Süden und wie es aussieht, wird er etwa gleichzeitig mit dem Unwetter hier eintreffen. Unangenehm ist das für ihn. Er sollte lieber abwarten bis das Gewitter weitergezogen ist, dauert ja meist nicht länger als eine halbe bis eine Stunde denke ich noch so. Es ist immer gefährlich mitten in einem Gewittersturm dicht unter der Küste herum zu manövrieren; eventuell muss auch das kleine Lotsenboot umkehren oder kann gar nicht erst auslaufen und dann sitzt man da auf dem engen Revier vielleicht noch ohne Ortskenntnis.

Der Dritte kommt zurück von der Back und meldet: "6 Schäkel Kette zu Wasser jetzt Sir." " Ich meine, das müsste reichen, bitte nehmen Sie unsere genaue Ankerposition mit einer Kreuzpeilung und dem Radarabstand von Cap Guaraju."

Die Reede von Santos, rechts die Hafeneinfahrt

Die Insel direkt vor dem Strand, der Unglücksort

Jetzt meldet auch der Chief seine Maschine klar und stellt um auf Brückenfernsteuerung, ich fahre das Probemanöver ein Mal voraus und ein Mal zurück und dann kündigt der Chief seinen Besuch bei mir auf der Brücke an.
Wat hei nu woll wedder het.
Enter the Chief Engineer.
Er begibt sich schnurstracks zum Radar, studiert das Bild und brummt "Und das sollen wir abkriegen? Sieht ja gräsig aus."
"Ja, bisschen Wind sitzt da auch wohl drin aber wir haben schon mehr Kette gesteckt, der Ankergrund ist gut und zur Not haben haben wir ja jetzt auch unsere Maschine klar", sage ich ihm.
"Dann werde ich auch mal lieber hier oben bleiben bis das vorbei ist".
Donnerwetter, der Mann zeigt Einsichten.

Jetzt frischt der Wind auf, ablandig von der Serra herunter. Die Lichter der kleinen Stadt Guaraju verschwimmen schon in Regenschwaden und erster Donner lässt sich hören.
Ablandiger Wind ist ganz gut, so kann kein hoher Seegang entstehen und unser Schiff hat einigen Tiefgang so dass heftiges Schwoien nicht zu erwarten ist.
Lieber den Wachsmann nach vorne schicken um die Kette unter Kontrolle zu halten.
"Dritter, schicken Sie Ihren Wachsmann auf die Back und er soll während des Sturms dort bleiben und die Kette im Auge behalten und irgendwelche Unregelmäßigkeiten sofort zur Brücke melden!"
"Yes Sir, Wachsmann auf die Back,ok"
"Santos Pilot, Santos Pilot, griechisches Schiff A. Karamanlis ruft. Wir werden in 20 Minuten an der Ansteuerungstonne eintreffen, die Lotsenleiter ist klar an Backbordseite." so plärrt es aus dem UKW; jede Menge Statik im Gerät durch das Gewitter.
Keine Antwort.

Der Grieche wiederholt seinen Anruf einige Male; die Stimme wird zunehmend hektischer, im Hintergrund sind andere Stimmen zu hören die aufgeregt durcheinander schnattern. Ein Blick ins Radar zeigt, dass der Grieche viel zu weit an Backbord von der Fairwaybuoy steht und genau dort, nämlich Backbord von der Ansteuerungstonne sehen ein paar hässliche Felsen aus dem Wasser, genau vor dem schönen Strand von Sao Vicente. Wenn der Grieche jetzt so weiterfährt und nicht schnurstracks eine Haken schlägt und recht von der Küste abhält gibt es ein beträchtliches Unglück.

Jetzt regnet es in Strömen, Blitz und Donner geschehen gleichzeitig, die Augen werden geblendet und die Ohren betäubt. Nach dem Geräusch, das der Wind in der Luft erzeugt, ein widerliches Kreischen und Heulen, sind es wohl 9 oder 10 Beaufort geworden.
Der Wachsmann meldet, dass die Kette hält, der Dritte kontrolliert laufend die Position ; wir treiben nicht.
Der Radarschirm ist fast weiß vom Regen und nur wenn man die Enttrübung ganz weit aufdreht, kann man noch die Konturen der Küste erkennen; kleinere Objekte werden mit unterdrückt. Ich sehe noch ein paar Punkte vor dem Strand auf dem Schirm, aber welcher davon der Grieche ist vermag ich nicht zu unterscheiden.
Der ruft derweil immer verzweifelter nach dem Lotsen.
"Santos Pilot Santos Pilot  ich benötige dringend einen Lotsen."
Keine Antwort.
Das Wetter zieht vorüber, Wind und Regen lassen nach, Wir haben alles mal wieder gut überstanden und brauchten weiter keine Maßnahmen zu ergreifen. Der Chief kann seine Maschine wieder abstellen und der Wachsmann seinen Posten auf der Back verlassen und sich trocknen.
"Griechisches Schiff A. Karamanlis, Santos Pilotstation ruft A. Karamanlis. Wo sind Sie, wie ist Ihre Position jetzt? Das Lotsenboot verlässt jetzt die Station und wird sie wie vereinbart an der Ansteuerungstonne treffen."  so plärrt es jetzt aus dem UKW.
Stille.
Dann: "Santos Pilot von A. Karamanlis. Ich glaube, ich brauche jetzt keinen Lotsen mehr, wir sind soeben auf einem Felsen aufgelaufen und sitzen hoch und trocken direkt vor Sao Vicente Beach."
Und nun hebt das Geschrei erst richtig an.

Dem Geschnatter entnehme ich, dass für die Besatzung keine Gefahr besteht und dass man mit den eigenen Rettungsbooten eine Verbindung zum Strand herstellen will; Tote und Verletzte hat es nicht gegeben. Die Doppelbodentanks sind allerdings teilweise aufgerissen und eine beträchtliche Ölverschmutzung am Strand ist zu erwarten. Armes Schwein von Kollege, er wird wahrscheinlich ein brasilianisches Gefängnis von innen sehen bis die Reederei die sicherlich beträchtliche Kaution hinterlegt hat. Hoffentlich sind das Schiff und sein Kapitän vernünftig versichert womit man allerdings bei Griechen durchaus nicht immer rechnen kann.

Der nächste Morgen kam strahlend herauf und mit dem ersten Tageslicht war ich natürlich auf der Brücke um mir die Bescherung anzusehen. Der gute Grieche hatte tatsächlich einen Felsen vierkant getroffen. Ein Blick erst durch das Glas und dann in die Seekarte offenbarte, dass dieses Schiff seinen letzten Liegeplatz erreicht hatte. Durchs Glas war auch zu erkennen, dass sich am Strande schon eine erhebliche Menge Schaulustiger versammelt hatte und auch, dass zwischen Schiff und Strand ein Bootsverkehr eingerichtet worden war. Von ausgelaufenem Öl war glücklicherweise nichts zu sehen das mochte ja dann noch einmal gutgegangen sein.

 

Eine lebhafte Fantasie wird hier genussvoll ausgemalt

Wie weit der Künstler, dem wir obiges Blatt zu verdanken haben, die Situation am Tag danach realistisch dargestellt hat kann ich nicht sagen; aber es hätte doch so sein können; oder?

Als ich das alte Kalenderblatt in meinen diversen Papierhaufen wiederfand, fiel mir mein Erlebnis auf Santos Reede wieder ein und es ist kein Garn, es hat sich alles wirklich so zugetragen wie beschrieben, dass das Bild so schön auf die Situation passt, ist natürlich reiner Zufall.

Viel später, bei einem weiteren Besuch in Santos mit einem anderen Schiff, erfuhr ich, dass der wachhabende Radiooperator von Santos Pilotstation wegen des drohenden Gewitters nach Hause gegangen war, um seine offengelassenen Fenster zu schließen und dann wegen des einsetzenden Regens dort abwartete bis das Unwetter vorüber war. Während dieser Zeit war die Radiostation unbesetzt.
Der griechische Kapitän wurde tatsächlich gefänglich festgehalten bis die verlangte hohe Kaution hinterlegt war, was wegen fehlender Versicherung 2 Wochen dauerte.
Eine nennenswerte Ölverschmutzung fand nicht statt; nur einige cbm waren in die See gelangt, der große Rest konnte abgepumpt werden.
Das Schiff wurde nach ein paar Tagen zum CTL (constructive total loss) erklärt, da eine Bergung nicht möglich war. Die Ladung wurde soweit es ging abgeborgen; ein großer Teil natürlich gestohlen. Anschließend wurde das Schiff an Ort und Stelle in transportable Stücke zerschnitten und verschrottet. Die Operation dauerte 2 Jahre und hat gekostet? Mehr als wir in 10 Leben verdienen können.

Soweit die Geschichte, die mir beim Betrachten eines Kalenderbildes einfiel.

Nächstes mal wird es lustig, denn Karneval in Brasilien ist sehr lustig und - leider auch sehr gefährlich, das soll nicht verschwiegen werden.
Tschüss bis dann!

 

Carnival

M/S "Barbara Leonhardt" Reiserouten 1979 und 1983/84

 

Baujahr:

1968

Bauwerft:

Unterweser AG, Bremerhaven

Heimathafen:

Hamburg

Flagge:

Deutsch, Panama, Cypern

Type:

General Cargo

BRT:

5478

TDW:

6850 mto

HP:

4500 PSe

Speed:

15 kn max.

LOA:

118,9 m

Fahrtgebiet:

Große Fahrt

Dienstgrad:  

Kapitän

Angemustert:

31.7.79 Hamburg und 28.11.83 Belem

Abgemustert:

15.12.79 Leghorn und 18.3.84 Bremerhaven

Geschichte: 1968 als "Meta Reith" der Orion Reederei Reith &Co. in Fahrt gekommen, 1977 umbenannt in "Columbus Tahiti", 1978 umbenannt in "Wille II" und in Hamburg aufgelegt; dort liefen unter mysteriösen Umständen der Maschinenraum und der angrenzende Laderaum Nr.4 voll Wasser. Im April 1979 an Leonhardt & Blumberg und umbenannt in "Barbara Leonhardt", umgeflaggt nach Panama, von April bis September 1979 in Hamburg an den Norderelbpfählen aufgelegt und hauptsächlich mit eigenen Leuten gründlich überholt und repariert, am 3.9.79 wieder in Fahrt gesetzt, 1983 umgeflaggt nach Zypern, 1986 in die Schweiz verkauft, umgeflaggt nach Panama, neuer Name "Sandra S.", 1994 umbenannt in "MSC Sandra S", 2000 an Alang zum Abbruch.

Auf diesem abenteuerlichen Schiff hat die Reederei mir zwei Mal das Kommando anvertraut. Das erste Mal im Sommer 1979 während der Reparaturzeit in Hamburg und auf der ersten Reise danach für Leonhardt & Blumberg. Diese Reise führte mich von Hamburg über London und Antwerpen direkt in die Karibik nach Barbados, Guayana, Trinidad, Honduras und zurück über die Dominikanische Republik, Las Palmas, Teneriffa und Huelva nach Leghorn in Italien. Dort musterte ich Mitte Dezember ab. In dem Jahr konnte ich dann Weihnachten mal wieder zu Hause verbringen.
Das zweite Mal, Ende November 1983, wurde ich kurzfristig nach Belem in Brasilien beordert, um an Bord den Wahrheitsgehalt von Berichten über ein ä;szlig;erst gespanntes Verhältnis zwischen dem Kapitän und der Filipinocrew zu überprüfen.Die Crew hatte sich bei ihrer Vermittlungsagentur in Manila über schlechte Behandlung und diskriminierendes Verhalten des Kapitäns beschwert. So etwas war ernst zu nehmen. Wenn solche Spannungen eskalierten und es zu Gewaltausbrüchen kam, gab es leicht mal Verletzte oder auch Tote. In der etwas chaotischen Anfangszeit der Umflaggung von Schiffen unter "Flag of Convenience" und der Beschäftigung von Billigbesatzungen kam so etwas schon mal vor.

Auf der "Barbara" war der Unfriede schon ziemlich weit gediehen, wie ich schon bald nach meiner Ankunft feststellen konnte. Die Leute "schliffen die Feilen spitz und schärften die Roststecher", ein Schnack, der unter Seeleuten das Gegenteil von "Schwerter zu Pflugscharen schmieden" bedeutete. Es wurde höchste Zeit, dass etwas geschah. Der Alte stellte sich gegenüber allen Vermittlungsbemühungen meinerseits taub, er mochte die Asiaten einfach nicht und seine Vorurteile waren gar nicht zu überwinden. Um die Sache nicht noch weiter hochzuschaukeln, empfahl ich der Reederei, ihn schnellstmöglich abzulösen, wohl wissend, dass dann ich, weil eben vor Ort, seine Stelle einnehmen müsste.

So geschah es.
Gleichzeitig wurden noch der filippinische Bootsmann und ein Matrose, die auch nicht ganz unschuldig an der Affäre waren, nach Hause geschickt. Der Friede war nun einigermaßen wiederhergestellt, um die rechtlichen Konsequenzen und die Kosten der Aktion mochten sich die Hamburger kümmern.
Das Schiff übernahm eine volle Ladung Mahagoniholz für Leixoes in Portugal. Ein großer Teil des Holzes wurde direkt an mehreren Sägewerken weiter flussaufwärts, mitten im amazonischen Urwald geladen. Alle Laderäume wurden randvoll gestaut und die Deckslast war auch noch über 2 m hoch. Die Überreise verlief ziemlich ruhig, aber bei der Ansteuerung von Leixoes bekam ich dann doch noch meinen eigenen Ärger mit der Filipinocrew.

Und das kam so:
"Bei Ankunft auf der Reede von Leixoes am 14.12.83 abends war der Lotsendienst wegen Schlechtwetter suspendiert und wir dampften langsam vor der Einfahrt auf und ab. Bei Tagesanbruch war das Wetter eher noch schlechter; ich versuchte aber, die Einfahrt zu gewinnen um den Lotsen dann innerhalb der Mole zu übernehmen. Beim Ansteuern fiel dann aber die Hauptschmierölpumpe aus und der Versuch musste abgebrochen werden. Der Wind nahm zu bis auf Beaufort 11. In sicherem Abstand von der Küste wurde dieser Sturm abgewettert. Das Schiff rollte stark und nahm Brecher über. Die Deckslast verrutschte nach Backbord und wir bekamen 10 Grad Schlagseite.Sollte die Ladung noch weiter übergehen, bestand Gefahr für das Schiff. Die Crew verweigerte den Dienst und legte lieber schon mal die Schwimmwesten an , vereinzelt fingen die Leute vorsichtshalber an zu beten. Nur mit starken Drohungen meinerseits konnten die Filipinos dazu bewegt werden, an Deck zu gehen und die Ladung zu sichern oder, wenn nötig, die Sliphaken der Laschung zu lösen, damit die Decksladung über Bord gehen konnte und damit die Stabilität verbessert wurde. Lobend zu erwähnen ist hier das Verhalten des jungen 3. Offiziers, Herrn S., der mit Umsicht, Mut und der notwendigen Autorität die Arbeiten leitete und zu einem erfolgreichen Abschluss brachte. Niemand wurde verletzt und es ging keine Ladung verloren." (Auszug aus dem Kapitänsbericht vom 9.1.1984).

Einfahrt von Leixoes

Holzdeckslast (hier auf M/S Hans Leonhardt)

Zwei Tage später, die Schmierölpumpe war inzwischen repariert, besserte sich das Wetter etwas und wir konnten endlich einlaufen. Ein etwas trauriger Haufen Schiff mit immer noch erheblicher Schlagseite und recht unordentlicher Holzdeckslast, die besonders an Backbordseite überall über die Bordwand hinausragte, manövrierte sich da mit vorsichtigen Bewegungen an seinen Liegeplatz. Die Schäden an Schiff und Ladung waren aber nur gering und die Besatzung war gottlob gesund, bis auf ein paar seelische Läsionen bei denjenigen, die sich nun schämten, dass sie nur mit der Androhung von Gewalt zu den notwendigen Hilfsmaßnahmen für Schiff und Ladung gezwungen werden konnten.

5 Tage später ging die Reise ging dann in Ballast weiter nach Dünkirchen. Dort wurden wir  wieder von einem Orkan auf der Reede erwischt und pünktlich am Weihnachtsabend gingen wir dann auch zwischen den Sandbänken in die Drift  und konnten uns nur mit dem zweiten Anker und einigen Maschinenmanövern vor der Strandung auf den Sänden bewahren.

Ladehäfen waren dann Dünkirchen und Rouen in Frankreich. Die Bestimmungshäfen lagen alle in der französischen Karibik. Fort de France auf Martinique, Point a Pitre auf Guadeloupe und Degrad des Cannes, der Hafen von Cayenne in französisch Guayana; eigentlich eine Traumreise, wenn das Schiff nur nicht so zickig gewesen wäre.
Trotz allem, es gab ein paar wunderschöne Tage besonders in Point a Pitre, wo sich französische Lebensart und karibisches Temperament auf das glücklichste vermischten und ich die vielen Widrigkeiten an Bord für kurze Zeit einfach vergaß.

Der letzte Löschhafen war dann Degrad des Cannes, ein neuer Hafen an der Mündung des Mahury River, Er ersetzte den alten, vollkommen überforderten Hafen von Cayenne und war besonders wichtig für das nahegelegene Kourou, den europäischen Weltraumbahnhof. Wir löschten dort Baumaterial für die Erweiterung der Startrampen der Ariane Raketen und Container mit technischer Ausrüstung für die Bodenstation und die Raketen. Im Hafen selbst war nicht viel los, was Erholung und Vergnügen für die Seeleute bedeutete, da mussten sie schon in das nur 12 km entfernte Cayenne fahren; dort allerdings tanzte der Bär und die Janmaaten waren des Lobes voll. Ich besah mir das Ganze mit erheblicher Skepsis, denn um die Leute leichtsinnig und vergnügt zu machen, wurden nicht nur auf konventionelle Weise Alkohol und sexuelle Vergnügungen aller Art angeboten sondern auch Dope der leichteren Sorte (Marihuana). Das damals gerade wieder in Mode kommende Kokain war leider auch auf einfache Weise zu erwerben, so dass nur zu hoffen war, das wir nicht allzu lange in diesem Sumpfloch mit seinem auch sonst nicht gesunden Klima bleiben mussten.

Die Agentur des Charterers erwies sich als angenehmer Geschäftspartner und stellte mir für meinen dienstlichen und privaten Gebrauch während der Liegezeit ein kleines Auto zur Verfügung. So konnte ich, wenn nötig, jederzeit schnell nach Cayenne kommen. An einem Sonntagmorgen unternahm ich zusammen mit dem Chief und dem 3. Offizier einen Ausflug nach Kourou um die Startrampen der Ariane Raketen zu besichtigen; leider ließ man uns wegen fehlender Besuchsgenehmigung nicht auf das Gelände und wir mussten Zaungäste bleiben. Dafür hatten wir einen schönen Ausblick auf die vorgelagerten Iles de Salut mit der "Teufelsinsel", auf der der französische Hauptmann Dreyfus von 1894 bis 1899 inhaftiert war. Eigentlich war er wegen Landesverrats zu lebenslanger  Verbannung und Haft in der berüchtigten Strafkolonie verurteilt worden, aber wegen weltweiter Proteste und nicht zuletzt wegen des wohl berühmtesten Zeitungsartikels, der jemals geschrieben wurde, dem "J’accuse.." von Emile Zola, wurde der Prozess wieder aufgenommen und Dreifus erst begnadigt und später dann noch voll rehabilitiert und sogar zum Ritter der Ehrenlegion ernannt. Die barbarischen Zustände in der Strafkolonie sind allgemein bekannt geworden durch den Roman und den Film "Papillon". Erst 1951 wurde die Strafkolonie endgültig geschlossen.

Degrad des Cannes Iles de Salut (rechts oben die Teufelsinsel)

Nach 10 Tagen hatten wir alle Ladung gelöscht, das Schiff wurde vom französischen Charterer an die Reederei zurückgeliefert und wir konnten auslaufen. Da eine Anschlussbeschäftigung noch nicht geschlossen war, kam der Bescheid, vorerst in tiefem Wasser vor der Flussmündung zu ankern und dort auf weitere Orders zu warten.

Auf dem Revier, der Lotse war noch an Bord, Spektakel in der Brückennock. Der filipinische Chiefmate schleppte laut fluchend einen jungen Menschen auf die Brücke, der eindeutig nicht zur Crew gehörte. Er war von weißer Hautfarbe, ziemlich schmuddelig und nur mangelhaft bekleidet. Er keifte kräftig zurück, in welcher Sprache auch immer, und zappelte heftig im festen Griff des Chiefmates. "Captain, we found this stowaway, he was hiding in the steering engine room underneath an old Manila rope." erklärte mir mein 1. Steuermann. (Kapitän, wir fanden diesen blinden Passagier, er hatte sich im Rudermaschinenraum unter einer alten Manila versteckt.)

Der junge Mann war mir nicht unbekannt. In den letzten Tagen hatte ich ihn oft an der Pier und ab und zu auch mal in der Mannschaftsmesse gesehen, wo er sich den Bauch vollschlug. Er sah aus, wie man sich den typischen abgerissenen Beachcomber, den irgendein auflandiger Wind in das Sumpfloch Degrad des Cannes geweht hatte, so vorstellte. Er hatte sich wohl mit der Crew etwas angefreundet und die hatte ihm aus Mitleid sicher ab und an etwas zu essen gegeben und womöglich auch einen Schlafplatz an Bord überlassen. Nun hatte ich also diesen hoffnungsvollen jungen Menschen am Hals und damit auch ein Problem. Papiere hatte er natürlich keine, seine Sprache war Creole, ein rudimentäres Englisch kam auch noch über seine Lippen, Nationalität sollte Trinidad & Tobago sein. Kein Mensch und keine Behörde würde mir diesen Zugvogel abnehmen. Der Lotse winkte denn auch ab als ich ihn bat, ihn mit dem Lotsenboot wieder an Land zu nehmen : "Ohne Papiere, niemals!!!" Polizei und Immigration an Land sagten: "Ohne Papiere, nie und nimmer, der Mann geht uns nichts an, der wird hier nirgends vermisst!!!" Alles wie zu erwarten. Jetzt waren Zurückhaltung und Klugheit gefragt. "Erst mal Maul halten, nicht die Pferde scheu machen; Reederei und P & I Club kannst du immer noch benachrichtigen wenn dir gar nichts mehr einfällt" dachte ich so bei mir. "Wenn ich nur unseren nächsten Hafen schon wüsste!"

Einen Tag später kam schon ein Ordertelegramm aus Hamburg: "Anschlussbeschäftigung in Charter für Booth Line (GB) eine volle Ladung Mahagoni Schnittholz Balken Bretter von Belem (BR) nach Heysham (GB). Andienung frühestens 9.2.84 längsseits Belem. Wichtige Charterklauseln folgen morgen." Das waren ja noch 13 Tage Zeit bis ich das Schiff dem neuen Charterer präsentieren konnte. Von unserem Ankerplatz bis Belem waren es nur 450 Seemeilen, also gut 30 Stunden. Ich beschloss, noch 9 Tage auf unserem jetzigen Platz zu bleiben und dann langsam nach Belem zu dampfen. Weiterhin beschloss ich, nichts über den blinden Passagier verlauten zu lassen, Belem war ein guter Platz ihn unauffällig wieder los zu werden. Die Karnevalssaison kam gerade so richtig in Schwung in Brasilien und in der chaotischen und freudig gestimmten Zeit war fast alles möglich. Ich rief den Burschen also zu mir, erklärte ihm, dass wir nach Brasilien fahren würden und das dort gerade Karneval gefeiert wurde. Diese Auskunft erfreute ihn sichtlich und er erklärte mir "Karneval in Brasilien wollte ich schon immer mal erleben." Jetzt war es an mir zu bluffen und ich machte ihm die beiden Möglichkeiten klar, die er hatte um den Karneval zu erleben : 1.) hinter Gittern; Ich würde die Polizei benachrichtigen dass er an Bord sei und die würde ihn ohne Federlesen einsperren in eines der bekannt luxuriösen Gefängnisse Brasiliens wo er Hunger und Durst leiden würde weil er keine Verwandten oder Freunde hätte, die ihn mit dem Notwendigsten versorgten. Die Sambamusik würde er, wenn überhaupt, nur von ferne hören und die schönen brasilianischen Mädchen würden ihn nur in seiner schmutzigen Fantasie des Nachts heimsuchen. Carnival eben "Fleischeslust ade". 2.) Als freier Mann mit einem Vermögen von 100 $ in der Tasche, wenn er gleich am ersten Abend in Belem inmitten eine Horde seiner filipinischen Freunde aus der Crew an Land gehen würde und sich nie wieder blicken ließe. Die 100 $ Startkapital würde ich ihm kurz vorher aushändigen, ebenso würde ich für heile und saubere Kleidung sorgen. Waschen, rasieren und kämmen solle er sich auf jeden Fall, damit nicht jeder Zöllner am Hafentor gleich sah wes Geistes Kind er war. Er versuchte noch, seine "Abfindung" auf 150 $ hinaufzuhandeln, aber ich blieb hart und so einigten wir uns dann auf diese 2. Version. Sodann vergatterte ich die Crew noch auf dieses Vorgehen. Ich schimpfte und wetterte, gab den Leuten die alleinige Schuld, dass dieser Bursche überhaupt an Bord war. Durch ihre Nachlässigkeit und Schlamperei wäre das Problem überhaupt erst entstanden und nun hätten sie verdammt nochmal die Pflicht, den Mann unauffällig wieder dorthin zu bringen wohin er gehörte, an Land nämlich.

Am 6. Februar gingen wir Anker auf und am 7. verzeichnet mein Tagebuch die Mittagsposition 02° 44’N, 49°13’W; am 8. 1045 Uhr: Lotse an Bord bei Salinopolis, Position 00°27’S, 47°38’W, 1830 Uhr: Let go Anker bei Val de Cans, Belem Reede; am 9. 1230 Uhr: Anker auf, 1530 Uhr: Schiff fest mit Stb.Seite an Berth No.7 in Belem, Abends blinder Passagier glücklich an Land. Großes Aufatmen.
Diese Aktion war natürlich alles andere als legal, aber nach 26 Jahren dürfte jetzt wohl alles verjährt sein. Nach dem Vorfall war ich noch etliche Male in Brasilien, hatte aber nie Probleme bei der Ein- oder Ausreise. Im großen schwarzen Buch der Behörden war ich also nicht verzeichnet.
Als Ladezeit für das Holz war 1 Woche veranschlagt, es wurden dann aber doch 10 Tage, einige davon konnte man mit gutem Recht turbulent nennen (sagte ich Tage? Es waren doch wohl eher die Nächte). Ich sagte ja schon, der Karneval kam gerade so richtig in Schwung.

Zu dem Repräsentanten des Charterers, Mr. A.E. Saint Roas (trotz des eigentümlichen Namens ein waschechter Brite von altem Schrot und Korn), bildete sich schnell ein freundschaftliches Verhältnis aus. Am Sonntagnachmittag lud er den Chief und mich zu sich nach Hause zum Tee ein. Seine Privatwohnung lag direkt an der "Praca da Republica", einem großen parkähnlichen Platz, der mit vielen riesigen Mangobäumen bestanden war. Auch die um den Platz führenden breiten Avenidas waren von diesen prachtvollen Riesenbäumen gesäumt. Von dem Balkon seiner Wohnung blickte man genau auf den Park. Am Abend, nach Einbruch der Dunkelheit, würde viel Volk auf und um den Platz herum zusammenlaufen um die Umzüge und Paraden, die Autokorsos und die vielen Sambakapellen zu bewundern und alle Welt würde singen und tanzen und alles wäre ganz ungefährlich, nicht so wie in Rio, wo zur Karnevalszeit die Verbrechensrate steil anstiege, so sagte uns Mr. St Roas. Hier in Belem könne man sich noch ohne Furcht unter die Menge mischen und kräftig mitfeiern.

 

Praca da Republica am Abend Mangobäume an den Avenidas               

Die Hausfrau servierte uns den Tee zusammen mit den traditionellen Gurken- und Schinkensandwiches, gefolgt von Scones mit "clotted cream" und zum Schluss noch süßem Gebäck; ganz wie zu Hause in "good old England" also. Danach ließ es sich nicht vermeiden, noch den einen oder anderen Scotch zu trinken, bis die ersten Sambatöne durch das offene Fenster ins Zimmer drangen. Wie vorausgesagt säumten viele Menschen die breiten Straßen und auch die schmaleren Wege im Park. Immer wieder brandete Beifall und Freudengeschrei auf, wenn einzelne Gruppen oder Kapellen dem Publikum besonders gut gefielen. Unser Gastgeber schlug nun vor, dass wir beide, der Chief und ich also, uns jetzt unten auf der Straße an dem Riesenvergnügen beteiligen sollten; er selbst würde nicht mitkommen, er fühle sich in seinem Alter dem Spektakel nicht mehr so recht gewachsen und würde sich lieber alles von seinem Balkon aus in sicherer Entfernung ansehen und -hören.

Also artig von unseren großzügigen Gastgebern verabschieden und auf ins Gefecht. Sehr schnell wurden wir eins mit der fröhlich gestimmten Menge. Wir jubelten, sangen und tanzten genau wie alle anderen auch. Als der Autokorso begann und die großen geschmückten Lastwagen langsam vorbeirollten, ließen wir uns gerne von den feiernden Menschen hinaufhelfen um dann dort oben mitzutanzen. Viele von den großen Wagen hatten ihre eigene Kapelle dabei, die dann fast ununterbrochen spielte. Ausschließlich Samba natürlich! Wir beide, als ungeübte Tänzer, waren recht schnell erschöpft und auch sehr durstig, denn es war  warm und schwül an dem Abend. Es gab aber ja genug fliegende Händler, die das gute "Brahma" Bier anboten, natürlich nur in Dosen. Bier in Flaschen war im Karneval aus naheliegenden Gründen nicht erlaubt. Als dann der Flüssigkeitsverlust wieder ausgeglichen war, ging es weiter. Diese brasilianische Musik lässt einem gar keine andere Wahl als zu tanzen; man kommt dabei so richtig ein wenig in Trance und kann erst aufhören bei totaler Erschöpfung oder wenn die Musik aufhört zu spielen.
Gegen Mitternacht waren wir zwar noch nicht total erschöpft aber nahe dran, gleichzeitig wurden die Abstände zwischen den Kapellen und Kostümierten Gruppen größer und die Menge verlief sich langsam.

Straßenkarneval in Belem

"Und, was machen wir mit dem angebrochenen Abend?" wagte ich den Chief zu fragen. "Ich für meinen Teil fahre stracks an Bord und werde froh sein, wenn ich in der Koje bin." sagte er. Ich wollte ja gar nichts anderes hören, also Taxi her und ab in den Hafen.
Den ganzen nächsten Tagen randalierte noch die aufpeitschende Sambamusik in meinem Kopf herum.

Ein paar Jahre später hatte ich mal das Glück (eher wohl Pech), zur Karnevalszeit in Rio de Janeiro zu sein. Dort war alles viel größer und prächtiger. Es gab den kostenpflichtigen Touristenkarneval, der als geschlossene Veranstaltung in den verschiedenen Sambadromen stattfand, polizeilich abgeschirmt und bewacht so dass Mord und Totschlag dort eher selten waren, und dann gab es den Straßenkarneval, der natürlich viel lebensvoller und natürlicher war, dafür aber ungleich gefährlicher. Zusammen mit meinem 1. Offizier war ich an Land gegangen um diesen Straßenkarneval hautnah zu erleben. Alle Vorsichtsmaßnahmen hatten wir getroffen: keine Uhr, kein Schmuck, keine Brieftasche, wenig Geld und dieses nicht in Gesäßtaschen oder Strümpfen sondern möglichst am Körper in der Unterhose. Wir aber wurden auf offener Straße unter dem Beisein von hunderten von Menschen überfallen, mit der Waffe bedroht und, als die Spitzbuben feststellten, dass wir nichts hatten, das sich zu rauben lohnte, erbarmungslos zusammengeschlagen bis wir blutend auf der Straße lagen. Keiner half, man amüsierte sich wohl eher noch. Kein Lokal ließ uns ein, damit wir uns das Blut vom Gesicht abwaschen konnte, einzig "McDonalds" schenkte uns eine Handvoll Servietten. Wir waren nahe der "Praca Maua", dicht am Hafen und dort erbarmte sich eine der streunenden Dockschwalben unser, nahm uns mit in ihre Stammkneipe, wo wir uns dann endlich reinigen konnten. Auch Bier und Schnaps gestand man uns zu, auf Kredit und auf mein Versprechen hin, dass ich noch am selben Tage jemanden mit dem notwendigen Geld vorbeischicken würde. Das war erlebte Solidarität.
Der Geldmatrose kam am nächsten Tag übrigens volltrunken zurück von seiner Mission. Man war so erfreut über die Einlösung meines Versprechens, dass er so lange bewirtet wurde, bis nichts mehr rein ging.

Soweit Carnival.

Tschüss bis nächsten Monat.

 

Sakura

Eigentlich sollte hier am Anfang ja das Bild eines prachtvoll blühenden Kirschbaumes stehen, denn Sakura ist japanisch und heißt auf deutsch "Kirschblütenfest". Ich aber stelle an den Beginn, wie üblich, erst einmal Schiffe, denn sonst wären es ja keine Seegeschichten, die ich hier an dieser Stelle erzähle. Die blühenden Kirschbäume und andere landgebundene Begebnisse kommen dann mehr in der Mitte und am Ende zur Sprache.

Aber vielleicht doch nur einen kleinen Blütenzweig vorweg?

Im Frühjahr 1975 brodelte es in der Gerüchteküche auf den Reedereischiffen: Ein Jahr zuvor hatte der Generationswechsel an der Spitze der Firma stattgefunden und jetzt wehte ein frischer Wind und es wurde von ungewohnten Aktivitäten berichtet. Neue Schiffe sollten gebaut werden hieß es, gleich ein paar mehr. Diesmal in Japan, das erste Mal in der Firmengeschichte außerhalb Deutschlands. Wir wussten, dass die japanischen Werften nach einem jahrelangen Boom jetzt nicht mehr ausgelastet waren und neue Schiffe billig zu haben waren. Subventionen flossen reichlich von beiden Seiten. Die Japaner unterstützten ihre notleidenden Werften und die Deutschen ihre Reedereien, die zwar nicht besonders notleidend waren, aber eine mindestens ebenso gute Lobby wie die Landwirte hatten, wenn es um Subventionen ging. Ein Run auf die billigen Gelegenheiten setzte ein, etwa so als wenn heute bei Aldi preiswerte Computer angeboten werden. Wir waren, den Gerüchten nach, dabei.

Ich gab im Februar/März 75 eine kurze Gastrolle auf "Marie Leonhardt" und machte zwei Reisen Brunsbüttel- Murmansk, ließ mich am Nordkap von dem dort üblichen Sauwetter kräftig durchschütteln und in klaren Nächten von spukhaftem Polarlicht verzaubern. Sonst sah ich nicht viel, da meist Nebel oder Schneetreiben herrschte und, der Jahreszeit entsprechend, nur ganz wenig Tageslicht geboten wurde.

"Marie Leonhardt" im Nordmeer

"Finn Leonhardt" mit dem Schwesterschiff "Heide Leonhardt" längsseits

Anschließend hatte ich noch einen Monat Urlaub, flog Anfang Mai nach Kobe in Japan und übernahm dort die "Finn Leonhardt" eins von den vier "German Liberty" Schiffen der Reederei. Das Schiff war verchartert an die japanische NYK-Lines und bediente die Route Japan - Karibik - US-Golf - Zentralamerika Westküste und zurück nach Japan. Das waren noch reine Stückgutreisen mit "Pütt un Pann" wie wir zu sagen pflegten; kein Dorf wurde ausgelassen und auf einer Reise so ca. 30 Häfen bedient. Fast überall war ordentlich was los, die Preise für das, was Seeleute liebten waren moderat und die Janmaaten schwelgten in den Vergnügungen die das wahre Leben für sie waren.

Auf der zweiten Reise, wir lagen in Mazatlan/Mexico, erreichte mich dann ein Brief mit der Mitteilung, dass ich nordgehend in Los Angeles abgelöst würde und dass man beabsichtige, mich nach kurzem Urlaub für ein paar Wochen in Hamburg in der Inspektion einzusetzen und mich daran anschließend nach Hiroshima in die Werft zur Bauaufsicht über die schon georderten vier Neubauten zu schicken. In einer Woche würden wir in Los Angeles sein und ein oder zwei Tage später wäre ich zu Hause. Es war Mitte November, ob der Urlaub bis Weihnachten ausgedehnt werden konnte, würde man dann noch sehen. Er konnte und ich musste mich erst im Januar 76 auf den Weg machen. Damals ging der Flug noch über Anchorage in Alaska und es dauerte fast 2 Tage, ehe ich in Hiroshima ankam. Der kalte Krieg war eben noch nicht zu Ende und der kürzeste Weg von Europa nach Fernost führte über den Nordpol mit Treibstoff bunkern in Anchorage, beim großen Eisbären, der ausgestopft mitten im Flughafengebäude der kleinen Stadt im eisigen Alaska stand.

Ujina Zosen, so hieß die kleine Werft in Hiroshima mit der unser Reeder den Kontrakt für den Neubau von vier Schiffen abgeschlossen hatte. Die Werft war spezialisiert auf den Bau von Logcarriern, also von Schiffen, die speziell zum Transport von Logs (Baumstämmen) ausgerüstet waren. Kunden waren bis dahin nur lokale Reedereien oder kleine 1-Schiff-Eigner aus Japan, Korea oder China gewesen. Die Schiffe wurden praktisch wie am Fließband gefertigt, eines sah aus wie das andere, nun kamen die Germanen und alles musste anders werden. Wir wollten den vorhandenen Bauplan nur als Basis benutzen um aus dem Spezialschiff "Logcarrier" ein universell einsetzbares Trampschiff zu machen, die "Eierlegendewollmilchsau" also. Zudem sollten die Schiffe unter deutscher Flagge in Fahrt kommen, was bedeutete, dass alle deutschen Vorschriften, mochten sie auch noch so verschroben sein, beachtet werden mussten. Die Werft hatte damit überhaupt keine Erfahrungen und die Eigenheiten der deutschen Bau- und Sicherheitsvorschriften machten es auch nicht einfacher für die Schiffsbauer in Japan, die noch in so manche teure Falle laufen sollten.

Einen großen Anteil an dieser Misere hatten auch die deutschen Behörden, die die Einhaltung der Vorschriften überwachen mussten und allein durch ihre Weigerung, den Schriftverkehr in englischer Sprache abzuwickeln, wie international durchaus üblich, große Verzögerungen und viele Missverständnisse hervorriefen. Und es gab viele Behörden: die Seeberufsgenossenschaft, das Deutsche Hydrographische Institut, die Kesselbehörde, die Arbeitsschutzbehörde nur um die wichtigsten zu nennen. Reiselustig waren sie alle; jede musste unbedingt einen Vertreter in das ferne Japan senden, der sich persönlich vom ordnungsgemäßen Gang der Dinge überzeugen sollte. "Wer weiß ob die Japaner überhaupt Schiffe bauen können" mögen diese Behörden gedacht haben. Die Japaner mögen uns für echt bescheuert gehalten haben; ihre angeborene Höflichkeit aber ließ uns das zu keinem Augenblick merken.

Es gab Sprachschwierigkeiten, obwohl die Werft ihre wichtigsten Mitarbeiter zu Englischkursen verdonnert hatte. Die größten Schwierigkeiten resultierten aber aus der doch sehr unterschiedlichen Denkweise. Wir Europäer neigten ja dazu, wenn wir einmal etwas für richtig erkannt hatten, dieses auch schnell und energisch umzusetzen, auch gegen Widerstände. Die Japaner dagegen benötigten immer einen Konsens bevor sie etwas in Angriff nahmen. Dieser Konsens wurde meist erst nach langen und ermüdenden Diskussionen erreicht, es fand sich auch bei kleinsten Änderungen selten jemand, der Verantwortung übernahm und z.B. kraft seines Amtes sagte "So wird es gemacht und damit basta".

Mein Kollege aus der Maschineninspektion war schon seit der Kiellegung vor Ort, kannte alle Eigenheiten und klärte mich umfassend auf. Er sprach sogar schon etwas japanisch und was noch wichtiger war, er fuhr sogar schon Auto in diesem wuselig übervölkerten Land mit Linksverkehr. Die Werft hatte uns neben einer geräumigen Wohnung in der Stadt nahe dem Shinkansen Bahnhof nämlich auch ein Auto zur Verfügung gestellt. Das machte uns unabhängig und kam uns auch sehr zu Pass bei den zahlreichen Besuchen die wir  Zulieferbetrieben in der weiteren Umgebung von Hiroshima abzustatten hatten; wir nannten diese Zulieferbetriebe respektlos unsere "Dorfschmieden". Ich selbst habe mich nie ans Steuer gesetzt, das war mir alles zu eng und unübersichtlich.

Wir kamen gut zurecht mit den Werftleuten, gewannen Freunde, mit denen wir dann auch die fast obligatorischen abendlichen Barbesuche unternahmen. Die Bars schlossen alle pünktlich um 2300 Uhr denn es herrschte Konsens in Japan, dass alle Menschen am nächsten Morgen ausgeruht und nüchtern zur Arbeit zu erscheinen hatten.

MS "Hans Leonhardt" (Probefahrt jap. Inlandsee) MS "Ingrid Leonhardt" (Abfahrt von der Werft)
M/S "Britta Leonhardt" (am Ausrüstungskai)            M/S "Bianca Leonhardt" (in der Containerfahrt)

Die beiden ersten Schiffe (Hans und Ingrid) hatten noch viel vom originalen Logcarrier Design, bis auf den Wulstbug und die größeren Wohnaufbauten achtern war nicht viel verändert worden. Die Tragfähigkeit betrug ca. 11700 tons, die Geschwindigkeit 14 kn. Die letzten beiden Schiffe waren schon stark verändert und mehr auf die Containerfahrt zugeschnitten. Das Ladegeschirr bestand aus 10 Bäumen für den Union Purchase Betrieb und zusätzlich 2 durchschwingbaren Stülckenbäumen a`40 tons Tragfähigkeit. Die Tragfähigkeit der Schiffe war auf 13000 tons und die Geschwindigkeit auf 16 kn erhöht worden.

Während der Bauzeit an Deck der"Ingrid Leonhardt"

Kurz vor der Übergabe mit Betriebsingenieur Itoh San
auf dem Bootsdeck der "Ingrid.."

Flaggenwechsel bei Übergabe in der Nock der "Ingrid..

Hier wird ein gewollter Gesichtsverlust gezeigt auf dem Brückendeck von "Britta Leonhardt"

Hier die anschließende Versöhnung auf der Party in der Messe der "Britta.."

Mit dem Gesichtsverlust hatte es folgende Bewandtnis: Die Werft war mit der Fertigstellung der "Britta Leonhardt", dem vorletzten Schiff also, schon 2 Wochen in Verzug geraten und vertröstete uns mit fadenscheinigen Argumenten immer wieder um ein paar Tage, wohl wissend, dass mindestens noch weitere 14 Tage bis zur Übergabe vergehen würden. Die Bosse von Werft und Reederei handelten dann hinter unserem Rücken einen Übergabetermin aus, der nur von finanziellen Erwägungen bestimmt war und nichts mit der tatsächlichen Fertigstellung zu tun hatte. Wir als Bauaufsicht bekamen Anweisung aus Hamburg, das Schiff zu akzeptieren, ob nun fertig oder nicht. Wir waren entsprechend sauer auf die Werft weil wir uns hinters Licht geführt fühlten. Um den Repräsentanten der Werft unser Missvergnügen zur Kenntnis zu bringen, beschlossen wir, zur offiziellen Übergabe, die sonst immer höchst förmlich mit Uniform und Schlips und Kragen und anschließendem Bankett stattfand, ganz einfach im Arbeitspäckchen zu erscheinen, die notwendigen Unterschriften zu leisten und sofort wieder an die Arbeit zu gehen. Wie auf dem Bild links zu sehen, tragen nur der Werftdirektor (unten links) und sein technischer Direktor Anzug und Krawatte. Dieses erregte beträchtliches Aufsehen und eine ausführliche Diskussion fand statt und natürlich wurde wieder mal ein Konsens erreicht. In diesem Konsens verpflichteten wir uns, denn erlittenen Gesichtsverlust der Werft durch eine Entschuldigung unsererseits wieder gut zu machen und am Abend eine große Party in der Offiziersmesse an Bord zu geben. Das geschah und wir waren sehr vergnügt, nur der Werftmensch in der Mitte des Bildes guckt noch etwas pikiert in die Gegend.

Mit drei der Neubauten machte ich dann auch die Jungfernreise. Mit "Hans" nach Bombay, mit "Ingrid" nach Neuseeland und mit "Bianca" schließlich nach Hamburg wo ich am 17. August 1977 abmusterte und einen genussvollen dreimonatigen Urlaub antrat.

Die Japaner feiern viele Feste, die wir hier in Europa so gar nicht kennen; eines davon ist Sakura, das Kirschblütenfest im Frühjahr. Das Fest ist an kein festes Datum gebunden, gefeiert wird es in dem Zeitraum von ca. 10 Tagen an denen die Kirschbäume voll erblüht sind. Die Kirschblüte variiert genau wie bei uns von Jahr zu Jahr je nach Strenge und Dauer des Winters. Sie findet auch nicht im ganzen Land zur gleichen Zeit statt, sondern wandert langsam von Süden nach Norden. Beginnend auf Kyushu in der südlichsten Präfektur Kagoshima auf etwa 31° nördlicher Breite und etwa 5 Wochen später auf Hokkaido die nördlichste Präfektur Soya auf etwa 45° nördlicher Breite erreichend. Bei schönem Wetter machen sich Familien, Freundeskreise, Vereine oder auch einzelne junge Paare frühzeitig auf zum Hanami, zur Bewunderung der Blüten also. Dazu wird ein Platz unter einem blühenden Baum ausgesucht, die mitgebrachten Matten werden ausgebreitet, Proviant und Getränke (reichlich Bier und Sake) in den Schatten gestellt. Der Proviant wird fast immer in der traditionellen Form, dem O-Bento, mitgenommen. O-Bento sind zum Teil aufwendig hergestellte und dezent verzierte Holz- oder Lackkästchen mit mehreren Fächern in denen die unterschiedlichsten Leckerbissen aufbewahrt werden. Jeder bringt sein eigenes O-Bento mit. Bevor man die ausgelegten Bambus- oder Strohmatten betritt und sich darauf niederlässt, müssen unbedingt die Schuhe ausgezogen werden wie in jedem japanischen Haus. Die Frauen ziehen zur Feier des Tages oft ihren besten Kimono an und auch die Kinder werden manchmal noch traditionell gekleidet; bei Männern sieht man das eher selten. Es ist kein Problem, einen Platz unter einem Kirschbaum zu finden, Mehr als die Hälfte aller Bäume in japanischen Städten sollen Kirschbäume sein, die meisten blühen weiß, einige aber auch blassrosa. Parks und Alleen sind verzaubert von diesem Blütenwunder.

Ich erlebte Sakura im Jahr 1977 zusammen mit Itoh San und seiner bezaubernden jungen Frau in Hiroshima. Itoh San war Schiffbauingenieur auf der Werft und zuständig für die Qualitätskontrolle bei den Endabnahmen. Ich hatte viel mit ihm zu tun und wir kamen nach kurzer Zeit sehr gut miteinander aus. Er sprach ein leidlich gutes Englisch und hat mir mit seinen fundierten Ratschlägen sehr geholfen, mich in der komplizierten japanischen Höflichkeitswelt einigermaßen zurechtzufinden und in das eine oder andere Fettnäpfchen nicht zu treten. Er und seine Frau luden mich also ein, Sakura und das zugehörige Hanami zusammen im Shukeien Garden, mitten in Hiroshima, zu begehen. Wir wanderten dann schon vormittags langsam durch die Stadt, kamen durch den Peace Park, der zum Gedenken and die Opfer der Atombombe eingerichtet war und sahen dort die ersten Bewunderer der Kirschblüten. Direkt gegenüber der Ruine der ehemaligen Industrie- und Handelskammer (jetzt, wegen der Kuppel, Atomic Dome genannt) hatten sie ihre Matten unter einem Baum ausgebreitet. Danach kamen wir am wieder aufgebauten Hiroshima Castle, der Burg der Daimyos von Hiroshima vom 16. bis 19. Jahrhundert, vorbei; auch hier in den Anlagen viele, viele Kirschbäume mit ihren Bewunderern zu Füßen.

Hiroshima Castle Shukkeien Garden Sakura am Atomic Dome

Im Shukeien Garden angelangt fanden wir nach längerem Suchen doch noch einen schönen Platz von dem aus wir den Kirschblüten unsere Bewunderung zollen konnten. Die Menschen waren gelöster Stimmung, es wurde gesungen, in vielen Gruppen wurden Gedichte rezitiert oder aus Büchern vorgelesen, andere gaben sich einfach nur den weltlichen Genüssen hin, schmausten und tranken wie es ihnen gefiel, aber alle waren friedlich und sehr höflich, noch! Als der Tag dann älter wurde und die Dämmerung einfiel, wurde es lauter, der Ton wurde rauer, die ersten Schnapsleichen waren zu beklagen. Die Frauen mühten sich mit ihren Männern, um sie irgendwie nach Hause zu bugsieren; manchen war allerdings nicht mehr zu helfen und die mussten ihren Rausch dann auf der Matte ausschlafen. Bald wurde es noch lauter, die Vorlesungen an der Universität waren zu Ende und die Studenten traten auf den Plan. Sie übernahmen nun mit ihren groben Späßen die Regie. Es wurde Zeit, dass wir uns auf den Weg machten und den Frieden der Koje aufsuchten.

Trotz allem, es war ein schönes Fest und ich hatte danach die tröstliche Gewissheit, dass auch im Land des Lächelns ein besinnlich und heiter beginnendes Fest ein unschönes Ende in Lärm und Streit finden kann. Aber was solls, man kann die letzten Stunden ja einfach streichen und vergessen, und an der zarten Schönheit einer Kirschblüte können auch randalierende Studenten nichts ändern.

Jetzt bleibt mir nur noch, all meinen Lesern eine fröhliche Weihnacht und ein glückliches Neues Jahr zu wünschen und somit dann
Tschüss bis zum nächsten Mal.

 

Bergung

Am 10. Dezember 1981 pflügte die gute alte "Luise Leonhardt"  mit leider nur 12 Knoten Fahrt durch das Mittelmeer, Kurs rw 265°, direkt auf die Straße von Gibraltar los. Die 18 Knoten, die das Schiff bei voller Maschinenleistung laufen konnte, waren einfach nicht mehr drin; die Hauptmaschine spielte da nicht mehr mit, sie hatte schon während der ganzen Reise zunehmend Probleme bereitet und konnte nur noch mit reduzierter Leistung gefahren werden. Der Schiffsort um 20 Uhr war 37° 06′N, 005°10,5′E, etwa 20 Seemeilen nördlich der algerischen Hafenstadt Bejaia. Das Wetter war gut: Wind WzN 3, Seegang 2-3, niedrige Dünung, gute Sicht. Es herrschte nur geringer Schiffsverkehr. Ich stand in der Nock und ließ die jüngste Vergangenheit so ein wenig Revue passieren. Das Jahr war fast zu Ende und es war ein ereignisreiches Jahr für mich gewesen.

Seit gut drei Monaten war ich jetzt schon wieder an Bord. Das Schiff hatte ich in Tampico übernommen nachdem ich vorher noch drei Schiffe besichtigt hatte, die als "Second Hand Tonnage" zum Verkauf standen. Eines, die norwegische "Tanafjord", in Brest/Frankreich, ein anderes, die unter Panama Flagge segelnde "Camellia Venture", im Dock in Curacao und ein weiteres, die "Orchid Venture", in Tampico. Keines davon fand Gnade vor den Augen meines Reeders und es wurde deshalb auch keine Kaufofferte abgegeben. Anfang des Jahres war es noch anders gelaufen, da hatte ich in Fernost vier Schiffe besichtigt, wovon dann drei angekauft wurden. Alle drei wurden in Hiroshima ins Dock gestellt, repariert und ein wenig angehübscht und dann für uns wieder in Fahrt gesetzt.

So sah ein Schiff beim Ankauf aus ("Makiy" beim Eindocken)

  Un dat Deck dat weer so vull Schiet un vull Smeer..

"Karl Leonhardt" ex "Makiy" nach der Überholung in Hiroshima.

Jetzt aber musste ich mich wieder mit der "Luise.." abrackern. Von Tampico waren wir in die USA zuerst nach den Golfhäfen Galveston und Houston/Texas, dann an die Ostküste nach Savannah, Wilmington/NC und schließlich Baltimore gegangen. Es galt eine volle Ladung Stückgüter für Jubail und Dammam in Saudi Arabien am Persischen Golf aufzunehmen. Während der Überreise nach Saudi Arabien häuften sich die Probleme mit der Hauptmaschine, die "off Hire" Zeiten summierten sich und der Charterer schickte uns zunehmend unhöflichere Telegramme und fragte schon mal süffisant nach, ob wir denn überhaupt noch die Absicht hätten irgendwann in unseren Bestimmungshäfen anzukommen und die sehnlichst erwartete Ladung auszuliefern. Na ja, was konnten wir tun? Mit konstanter Bosheit ging nach und nach alles kaputt was kaputtgehen konnte. Der Schmierölverbrauch stieg und stieg, er betrug mittlerweile schon eine Tonne pro Tag, ein echter Kostenfaktor; wir würden in Port Said oder Suez nachbunkern müssen. So langsam gingen uns auch die Ersatzteile aus. Die Maschinenleistung musste schon auf 60% reduziert werden, um noch größere Schäden zu vermeiden.

Nun, trotz aller Widrigkeiten passierten wir den Suezkanal (bei uns auch "Marlborough & Johnny Walker Canal" genannt wegen der schier unglaublichen Abstauberei der Behörden, Lotsen und wer sonst noch angab eine wichtige Funktion zu erfüllen) und kamen schließlich und endlich mit einigen Tagen Verspätung im Königreich Saudi Arabien an. Saudiarabische Häfen kann man getrost vergessen, man wurde durch Zoll, Polizei und Immigration schikaniert wo es nur ging. Landgang war für Ungläubige nicht erlaubt, man lehnte sogar eine Aufnahme meines 3. Ingenieurs in ein Krankenhaus ab weil er Pole war und damit für die Saudis ein Erzkommunist der es nicht verdiente am Leben erhalten zu werden. Der gute Mann hatte Glück, dass wir am selben Tag noch nach Jebel Ali in Dubai abgingen. Dort war man menschlicher und operierte ihn noch in der Nacht am Blinddarmdurchbruch. Ich habe im Laufe meiner Fahrenszeit noch andere schlimme Geschichten in dieser Weltgegend erlebt.

In Jebel Ali übernahmen wir sechs Colli Schwergut a′160 tons für Rouen in Frankreich; mehr Ladung war für die Rückreise nicht aufzutreiben. Der deutsche Schwimmkran "Magnus" war gerade vor Ort und setzte uns die riesigen Stücke in die Laderäume. Am 24. November verließen wir diese von mir nicht besonders geliebte Gegend und machten uns auf den Weg nach Frankreich. Mir wurde in einem Brief aus Hamburg mitgeteilt, dass man beabsichtige so bald als möglich die Hauptmaschine auszuwechseln, eine neue Maschine wäre schon gekauft und stünde in Japan bereit. Zur Zeit bemühe man sich, eine Charter nach Fernost zu bekommen um die lange Reise nicht in Ballast machen zu müssen. Da konnte ich nur hoffen, dass die gegenwärtige Maschine noch so lange durchhielt. Man würde sehen.

In Suez dann noch mal ein Missgeschick. Der Lotse brachte das Schiff zum Ankerplatz auf Innenreede um dort auf den Konvoi am nächsten Morgen zu warten. Beim Ankermanöver sprang die Maschine nicht auf rückwärts an, so dass die Restfahrt mit Hilfe beider Anker aus dem Schiff genommen werden musste. Nun wurden wir dazu verdonnert nach erfolgter Reparatur eine Probefahrt zu absolvieren und zu beweisen, dass das Schiff wieder voll manövrierfähig war; erst dann würde die Kanalpassage erlaubt. Also mindestens 1 Tag, wenn nicht 2 Tage verloren. Durch einen besonders tiefen Griff in den Zigaretten- und Whiskykarton konnten wir dann aber schon nach nur einem Tag weiterfahren. Großes Aufatmen als wir bei Port Said endlich wieder auf das offene Wasser kamen, das Verlangen nach Bakschisch ein Ende hatte und nun ein paar hoffentlich ruhige Tage vor uns lagen. Das aber sollte ganz anders kommen.

Ich stand immer noch draußen in der Nock als ein Maschinenalarm losheulte und gleichzeitig die Hauptmaschine in die Knie ging, nur noch ein Hilfsdiesel und das an der Bordwand vorbeirauschende Wasser waren außer dem jaulenden Alarm zu hören. Es war genau 20:12 Uhr. Auf dem Kontrollpult im Ruderhaus blinkte es hektisch dunkelrot. "Hauptmaschine Notstopp" rief der philippinische 3. Offz. mir zu. Nach und nach kamen noch andere Alarme mit roten und gelben Blinkern hinzu, grün war gar nichts mehr. Keine Panik, solche Alarme waren wir gewohnt, die waren ja fast an der Tagesordnung. Der 3. Offz. griff zum Telefon. "Lass mal, die wissen wahrscheinlich selbst noch nicht genau was diesmal los ist, die werden sich schon melden" beruhigte ich ihn und er ließ den Hörer liegen.

Nach und nach wurden die Alarme quittiert, damit das Geheule aufhörte. Es bestand keine Gefahr vorerst, weit und breit kein anderes Schiff zu sehen und die Küste 20 Seemeilen weg, also ruhig angehen lassen. Ich forderte den 3. auf unsere Position zu bestimmen und in die Karte einzutragen und dann die beiden roten Fahrtstörungslampen zu setzen, damit jeder sehen konnte dass wir manövrierunfähig waren und er uns aus dem Weg gehen sollte.

"Cap Carbon peilt rw 177°, Distanz 19,2 Seemeilen" rief mir der Steuermann zu. "Ab sofort alle halbe Stunde Position nehmen und die Drift mit Richtung und Geschwindigkeit im Brückenbuch notieren" gab ich ihm weitere Anweisung. Jetzt schrillte das Telefon, der Chief war dran: "Es gibt einen Schaden  am Kurbelwellenlager Zylinder 4, wir öffnen jetzt die Triebwerksklappen und sehen uns die Sache an. Das wird aber eine Weile dauern, der Trieb ist jetzt noch zu heiß und muss erst noch ein wenig abkühlen bis wir da rein können. Wenn keine weiteren Schäden zu erkennen sind und wir nur das Lager wechseln müssen, brauchen wir etwa 10 - 12 Stunden Reparaturzeit wenn das Wetter ruhig bleibt. Haben wir denn genug Platz zum Treiben?" Ich gab ihm den Bescheid, dass bei der jetzigen Richtung von Wind und Strom ausreichend Platz vorhanden sei, allerdings sollte der Wind laut Wetterbericht über Nacht auf Stärke 5 aus West auffrischen. Wohin und wie schnell wir vertreiben würden könne ich erst nach längerer Beobachtung sagen. Ankern könnten wir wegen zu großer Wassertiefe nicht. Na denn, an die Arbeit!

Ich ließ den Funker ein Telegramm an die Reederei absetzen mit den bislang bekannten Fakten und darin auch sagen, dass ich im Augenblick keinen Grund zur Beunruhigung sähe.

Es wurden weiter keine Schäden entdeckt und um 5 Uhr am nächsten Morgen war die Reparatur abgeschlossen und die Reise konnte fortgesetzt werden. Wir waren insgesamt 16 Seemeilen in Richtung 116° vertrieben und hatten uns den der Küste vorgelagerten Riffen bei Ras Afia bis auf 14 sm genähert. Mit dem neuen Lager durften wir die Maschine nur langsam hochfahren und ich ließ sicherheitshalber rw Nord steuern um mehr Abstand von der Küste zu gewinnen; wer weiß was noch auf uns zukam. Und es kam was auf uns zu. Nach nur 3 Stunden stoppte die Hauptmaschine wieder automatisch und wieder war es ein Schaden am eben ausgewechselte Kurbellager von Zylinder 4. Wir hatten gerade einmal 10 sm zurückgelegt.

Nun wurde es langsam ernst, wir hatten zwar noch 1 Lager in Reserve, aber es wäre Unsinn gewesen dieses auch noch einzubauen ohne die genaue Ursache für den Schaden gefunden zu haben, es würde sofort wieder zerstört werden. Wir brauchten sachverständige Hilfe von außen. In Hamburg hatte inzwischen die Bürozeit begonnen und ein reger Telegrammwechsel entspann sich. Telefonieren ging nicht, das Schiff war leider nicht mit Kurzwellentelefonie ausgerüstet und für Grenzwelle und UKW war die Distanz zu groß und so war das Ganze ein umständliches Unternehmen. Es gab viele Vorschläge aus unserer Inspektion und auch vom Maschinenhersteller MAN. Nichts führte zum Erfolg. Zum Ende wurde entschieden den Zylinder 4 und sein Pendant auf der anderen Seite (V-Maschine) ganz von der Kurbelwelle zu trennen; man könnte dann wenigstens mit geringer Leistung weiterfahren. Dies war nun ein langwieriges und vor allem schwieriges Unterfangen das eine Menge Sachkenntnis erforderte. Ob das mit unserer erschöpften und auch nicht besonders hoch qualifizierten Besatzung (muss ich leider sagen) zu schaffen war, konnte man zu Recht bezweifeln. Erschwerend kam noch hinzu, dass zwischen den beiden deutschen Ingenieuren und der philippinischen Maschinencrew erhebliche Spannungen bestanden, die sich manches Mal auch schon in Tätlichkeiten Luft gemacht hatten.

Obengenannte Entscheidung, die beiden Zylinder abzukoppeln, wurde am 11.12. mittags getroffen und als Reparaturzeit wurden mindestens 14 Stunden veranschlagt, vorausgesetzt das Wetter blieb gut und die Leute machten keine Schwierigkeiten.

Endlich gab es eine Entscheidung, ein klares Ziel war vorgegeben und die Organisation der Arbeiten konnte ich getrost dem Chief überlassen. Ich aber musste die schlimmste Möglichkeit in Betracht ziehen, nämlich die, dass die Reparatur nicht oder nicht rechtzeitig gelang und wir wegen der immer noch bedrohlichen Nähe der algerischen Felsenküste und wegen der imminenten Gefahr der Strandung wirklich und tatsächlich in Seenot gerieten. Bislang trieben wir mit ca. 2 kn etwa parallel des Küstenverlaufs nach Osten, aber sollte der Wind weiter nach Norden drehen und noch dazu auffrischen wie vorhergesagt, würden wir schnell auf die Küste zutreiben und dort auf die Steine gehen. Ankern war wegen der sehr großen Wassertiefen von über 100 m bis ca. 2 sm unter der Küste nicht möglich und im äußersten Notfalle würden die Anker wegen des felsigen Untergrundes auch nicht halten. Also mussten alle Vorbereitungen für eine eventuelle Bergung durch ein anderes Schiff getroffen werden und auch für das Verlassen des eigenen Schiffes mit den Booten, sollte eine Strandung auf den Klippen nicht mehr abzuwenden sein. Denn, eine Strandung an dieser Felsenküste bei auflandigem Sturm würde wohl der Tod für alle bedeuten, da müsste man doch wohl das Schiff rechtzeitig abandonnieren. Noch war es aber nicht so weit.

Ich ließ den Funker eine Dringlichkeitsmeldung auf der Seenotfrequenz absetzen, in der ich in der Nähe befindliche Schiffe aufforderte sich zu melden und nötigenfalls Assistenz zu leisten und uns von der Küste freizuschleppen. Kein Schiff, das diese Meldung empfing, durfte die geforderte Hilfeleistung ablehnen. Unter mehreren Schiffen, die sich meldeten, stand der DDR-Tanker "Heinersdorf" am nächsten und ich forderte das Schiff auf in unserer Nähe zu bleiben und uns nötigenfalls in Schlepp zu nehmen. Die "Heinersdorf" war zwar nicht die Idealbesetzung für diesen Job, viel zu groß und schwerfällig für diese Arbeit mit ihren über 40000 BRT, aber immerhin besser "ein Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach"; wenn alles misslang konnte sie ja wenigstens die Crew aus den Rettungsbooten aufnehmen. Wichtig war doch : Es war jemand da um zu helfen. "Heinersdorf" legte sich also in unserer Nähe auf Standby. Das war so gegen 16 Uhr.

 

Nun besprach ich mit meinem Chiefmate die Maßnahmen, die bei uns zu treffen waren um nötigenfalls schnell eine sichere Schleppverbindung mit dem Hilfsschiff herzustellen oder, wenn das nicht klappte, ohne Panik das Schiff zu verlassen und unser Heil mit den Booten zu versuchen. Bei dieser Besprechung musste ich leider ganz schnell feststellen, dass ich meine Erwartungen an meinen Stellvertreter besser etwas reduzierte. Er war der perfekte Gentleman, immer elegant in Uniform, von erlesenen Umgangsformen; nur, es fehlte ihm an Erfahrung. Er war sehr gut ausgebildet worden an seiner indischen Navigationsakademie nach britischem Muster, er war es gewohnt immer viele und insbesondere gehorsame Untergebene um sich zu haben, er war arrogant weil er der Kaste der Brahmanen zugehörig war und deshalb turmhoch über allen anderen Kasten in seinem Heimatland stand und er hatte einen langen Fingernagel der nicht beschädigt werden durfte; d.h. er arbeitete nicht gerne mit den Händen. Nun, nicht gerade die besten Voraussetzungen für den Job, der jetzt auf ihn und seine Deckscrew wartete. Und das war: Backbord Anker ausschäkeln und an Deck nehmen, die Ankerkette aushieven und achterkante Back an Deck nehmen, den Seeschlepper im Kabelgatt abtrommeln, auf die Kette schäkeln und in großen Buchten über Bord hängen und mit starkem Tauwerk an der Reeling festbändseln; das Auge bei Luke 5 an Deck nehmen, eine Jagerleine am Auge anstecken und klar zum laufen aufschießen. Ich gab ihm noch mit auf den Weg, sich zu beeilen, denn er hätte nur 6 - 7 Stunden Zeit bis die Dunkelheit hereinbräche und wenn das geschähe würde es erst recht schwierig werden. "Yes Sir", und er machte sich auf den Weg - in Uniform.

Der Wind nahm langsam zu und wehte gegen Mitternacht schon mit Stärke 6 aus West, die See wurde entsprechend gröber. Die "Luise.." trieb weiter mit gut 2 kn in Richtung EzN, wenn das so blieb würden wir Cap Bougaroni in etwa 8 sm Abstand sicher passieren, hier draußen war das
Wasser über 2600 m tief.

Jetzt meldete sich die M/S "Bredenbek" von der Reederei Knöhr & Borchardt. Die passierte uns nahebei und bot uns ihre Hilfe an. Ein kleines Schiff von etwa 2000 tons; das war doch schon viel besser als die viel zu große "Heinersdorf". Ich nahm also das Hilfsangebot an und konnte den großen Tanker mit Dank entlassen. Die "Bredenbek" war mit Kurzwellentelefonie ausgerüstet ich konnte das Schiff als Relaisstation für indirekten Sprechkontakt mit der Reederei benutzen. Dieses System funktionierte mehr schlecht als recht aber der Austausch ging natürlich viel schneller als mit Telegrammen. Leider war unser Funker eine ziemliche Trantüte und konnte in der langsam sich verschärfende Situation kaum noch einen vernünftigen Gedanken fassen. Die Reederei teilte mir mit, dass sie vorsichtshalber den Hochseeschlepper "Titan" von Schuchmann gechartert hätte. Der sei jetzt von Gibraltar aus mit Höchstgeschwindigkeit in Marsch gesetzt und könnte etwa in 30 Stunden bei uns sein. Nun, das war noch lange hin; in der Zeit konnte viel passieren.
Der Chiefmate hatte inzwischen die Vorbereitungen für eine Schleppverbindung beendet, er sah allerdings jetzt recht derangiert aus in seiner Uniform; die war nun stark beschädigt und er zog sich endlich ein Kesselpäckchen an... ein weißes natürlich. Nun galt es noch die Boote klar zu machen. Eine heikle Sache das, verfielen meine Filipinos nun doch wieder aufs beten und vergaßen darüber wie wichtig gerade jetzt ein kühler Kopf und kräftiges zupacken war.

Im Laufe der Nacht zum 12. Dezember drehte der Wind langsam auf WNW und die Abtrift änderte sich entsprechend auf EzS; 2,6 kn. Aus der Maschine kamen jetzt weitere Katastrophenmeldungen über erhebliche Schwierigkeiten bei der in Angriff genommenen Reparatur, zusätzliche Schäden wurden entdeckt. Die Leute waren außerdem erschöpft und hatten große Angst, dass das Schiff stranden könnte. Zudem hatte der 2. Ingenieur einen seiner Mitarbeiter im Jähzorn beleidigt und dann niedergeschlagen. Darüber waren die Menschen zu Recht aufgebracht und verweigerten erst einmal die Arbeit, bis der 2. sich förmlich entschuldigt und ich den Vorfall in das Schiffstagebuch eingetragen hatte. Das geschah und widerwillig gingen die Leute wieder an die Arbeit. Dieses alles unterstützte nicht die These, dass der Mensch mit Vernunft ausgestattet sei und auch danach handele. Den 2. Ing. würde ich mir vornehmen wenn dies alles hier vorbei wäre, vorerst mussten die Leute weitermachen und zwar alle. Während des Tages verschärfte sich die Situation weiter, der Wind frischte immer mehr auf und die Abtrift änderte sich weiter und betrug um 16 Uhr schon 110°; 2,7 kn.
Genau in dieser Richtung lag das Cap Takouch, auf das wir bei gleichbleibender Geschwindigkeit in 6 Stunden treffen würden. Bei weiterer Änderung der Abtrift nach Süden und Zunahme des Windes könnten wir schon in 4 Stunden auf die Riffe vor Cap de Fer geworfen werden. Es wurde höchste Zeit die Schleppverbindung herzustellen. Ich wollte gerade die "Bredenbek" auffordern näher zu kommen um die sicher nicht einfache Arbeit noch bei Tageslicht zu erledigen da sah ich, wie ein Schlepper, ja wahrhaftig ein großer bulliger Schlepper, in höchstens 4 Meilen Abstand an uns vorbeifuhr in Richtung Osten, sah aus wie ein Ankerziehschlepper wie er für die Positionierung für Bohrinseln gebraucht wird.

Ein Geschenk des Himmels! Sofort den Schlepper über UKW anrufen, der antwortete auch sogleich. In der Tat, es war ein amerikanischer Ankerziehschlepper ohne Anhang auf dem Weg zum Persischen Golf um dort bei den Bohrinseln eingesetzt zu werden. Sein Name war "Mr. Pete", Heimathafen Corpus Christi/Texas. Ich erklärte ihm unsere Notlage und forderte ihn auf uns zu helfen. Der Kapitän meinte, er müsste erst bei seiner Reederei anfragen ob er das denn auch dürfe, woraufhin ich ihn darauf aufmerksam machte, dass er die Hilfe nach internationalem Recht nicht ablehnen könnte, egal was sein Chef sagte. Ich hörte wie er sich mit jemand im Hintergrund beriet, wahrscheinlich seinem 1. Offizier, und sich dann bereit fand uns zu helfen, er müsse aber eine Charterrate von 800 $ pro Stunde verlangen. War der Mann von allen guten Geistern verlassen? Wie konnte er so etwas sagen? 800 $ pro Stunde, das durfte nicht wahr sein; das waren wirkliche Peanuts. Er würde in Teufels Küche kommen, wenn sein Chef das hörte. Er sollte eine komplette Bergung durchführen und wenn sie gelang hätte er Anspruch auf Bergelohn, der sich in diesem Falle bestimmt auf 400.000-500.000 DM, vielleicht noch viel mehr, belaufen würde. Dazu müsste er nur mit mir einen Bergungsvertrag nach Lloyds open Form (No Cure no Pay) abschließen. In meiner Lage konnte ich das nicht ablehnen. Der endgültige Bergelohn würde dann später von einem Schiedsgericht festgesetzt und richtete sich nach dem Wert von Schiff und Ladung und dem Aufwand des Bergers und der Größe der Gefahr. Für den Kapitän selbst und seine Besatzung würde ein erklägliches Sümmchen dabei herausspringen. Ich hielt erst mal den Mund, bewegte seine Worte im Herzen und stimmte dann seiner lächerlichen 800 $ Forderung zu. Ich hatte schließlich die Interessen meines Reeders zu wahren.

Wir besprachen die Vorgehensweise:
Der Schlepperkapitän fand meine Idee der Schleppverbindung nicht so gut und wollte anstelle unseres Schleppdrahtes die Ankerkette direkt auf seine Schlepptrommel nehmen, so wäre er es gewohnt und er hielt es für sicherer. Er würde eine Schmeißleine rüberschießen, daran sollten wir dann eine Polypropleine zu uns rüberholen, diese auf die Kette Schäkeln und er würde die Kette dann an der Polypropleine auf seine Trommel holen, 3 Törns aufwickeln wonach wir dann so viel Kette als möglich ausstecken sollten (ca. 270 m). Das hörte sich gut an, stellte sich aber als verdammt schwierig und sehr riskant heraus. 3 x brach die Polypropleine mit der die Kette an Bord des Schleppers gehievt werden sollte, erst beim 4. Versuch gelang es, die Kette wie gewünscht auf die Schlepptrommel zu wickeln, da waren seit Beginn der Aktion 2½ Stunden vergangen und wir bis auf  2 Meilen an die Felsen herangetrieben. Ich war selbst auf die Back gegangen und stand mit den Hand-UKW-Geräten, die ich glücklicherweise just vor 3 Wochen in den USA erworben hatte, direkt mit dem Schlepperkapitän in Verbindung und konnte die Sache so vor Ort leiten und meinem unerfahrenen Chiefmate den nötigen Beistand leisten. Den 3. Offizier hatte ich auf der Brücke gelassen und der sprang da oben im Dreieck und jammerte und schrie ins Walkie Talkie: "Captain, die Küste kommt näher, ich kann schon die Brandung sehen. Wir stranden bald, was soll ich nur tun und dabei flehte er die Jungfrau Maria und sonst wen um Hilfe an. Ich konnte ihm genauso wenig helfen wie die Jungfrau und ließ ihn jammern. Die Leute auf der Back hörten das Gejammer natürlich mit und das hob die Moral seiner philippinischen Landsleute nicht gerade. Endlich stand die Schleppverbindung und "Mr.Pete" konnte langsam antauen, recht von der Küste weg nach Norden. Es war jetzt 22 Uhr, der Wind war mittlerweile auf Sturmstärke 9 angewachsen, Seegang Stärke 6-7 aus WzN. "Mr.Pete" schleppte uns nun mit 2 kn von der Küste frei, das war zwar nicht schnell aber "ein Schritt in die richtige Richtung" wie die Politiker heute immer so daherschwätzen.

Kartenausschnitt. "Luise" treibt von links (Westen) direkt auf Cap Tacouch zu, "Mr. Pete" konnte am südöstlichsten Punkt der Driftlinie festgemacht werden und schleppte uns frei. "Titan" konnte dann dort, wo das Wort "Erase" in die Karte eingetragen ist festmachen und von dort aus beginnen, uns nach Barcelona zu schleppen.

Im Maschinenraum hatte man mittlerweile alle Reparaturversuche aufgegeben, da immer mehr Schäden hervorgetreten waren; die Menschen waren total erschöpft und zu nichts mehr zu gebrauchen. Während der ganzen Zeit vom 1. Notstop bis zur Herstellung der Schleppverbindung waren wir in 50 Stunden insgesamt 106 Seemeilen an der algerischen Küste entlanggetrieben und haben am Ende Freund Hein und Ekke Nekkepenn doch noch ein Schnippchen geschlagen und dem spitzigen Cap Takouch den Tampen gezeigt. Das freut mich heute noch.

Wir entfernten uns also langsam von den gefährlichen Felsen wobei das Schiff sehr stark stampfte und rollte in der mittlerweile hohen und steilen See; die Ankerkette aber hielt und "Mr. Pete" und seine Crew machten einen sehr guten Job. Um 5 Uhr hörte ich zum ersten Mal den Hochseeschlepper "Titan" auf UKW und konnte Verbindung mit ihm aufnehmen. Der Schlepper wollte in 1½ Stunden bei uns sein. Ich vereinbarte mit dem Schlepperkapitän mit dem Umspannen bis zum Tagesanbruch um etwa 8 Uhr zu warten. Um kurz vor 8 Uhr trennten wir die Schleppverbindung mit unserem texanischen Retter und verabschiedeten den Kapitän und seine mutige Besatzung mit großem Dank. Wir begannen nun die Verbindung mit "Titan" herzustellen. Jetzt konnten wir uns Zeit lassen, die drohende Gefahr einer Strandung war abgewendet, der Druck war von uns genommen.

Auf der "Titan" waren professionelle Berger am Werke und die Ausrüstung des Schleppers war optimal auf so einen Fall wie den unseren ausgerichtet. Trotz des miserablen Wetters, das auch dafür sorgte, dass das Deck des Schleppers immer wieder von Brechern überspült wurde, konnte das komplizierte Schleppgeschirr in nur 45 Minuten auf der Luise festgemacht werden. Voll ausgefahren war das gesamte Geschirr 1141 m lang.

"Titan" hatte Order uns nach Barcelona zu schleppen, wo der Schaden genauer untersucht werden sollte. Die Distanz betrug 360 Seemeilen die wir je nach Wetter in 3 - 4 Tagen als Anhang von Schlepper "Titan" zurückzulegen hofften. Am 16. Dezember 1981 erreichen wir die Reede von Barcelona, wurden dort von 4 Hafenschleppern in Empfang genommen und vorsichtig längsseit gebracht. Kapitän Homann und die Besatzung der "Titan" wurden mit Dank verabschiedet.

Hochseeschlepper "Titan" und " Atlantic" an der Pier auf Standby

Das Logbuch sagt: 16. Dezember 1981 1430 Uhr Schiff gut fest mit Stb. Seite in Barcelona.
Ende der Reise! Jetzt aber erst einmal ausschlafen.

So, liebe Leser der Seegeschichten, das war nun erst einmal die letzte Story. Ich hoffe, ich konnte Euch die Seefahrt, wie sie einmal war, etwas näherbringen und verabschiede mich mit Dank für die Aufmerksamkeit mit einem herzlichen "Farewell".

Euer Erwin Schwarz

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