Seegeschichten von Kapt. Erwin Schwarz

Seegeschichten 1

Wie alles anfing.

“Na min Jung, wat wist du denn eigentlich mal warden wenn du ut de Schaul büst ?” so war die Frage, die mein Großvater mir in Gegenwart seines Bruders, der von uns allen in der Familie nur “Karl Unkel” genannt wurde, stellte. Die beiden vertraten so was wie Vaterstelle bei mir, nachdem der Gröfaz von seinem Bunker in Berlin aus meinen Vater, wie Abermillionen andere Väter auch, in den Tod geschickt hatte. Aber es war doch mein einziger Vater. --- Nun, jetzt hieß es Farbe bekennen; hatte ich vorher doch noch nie irgendeinen Berufswunsch geäußert und für meine Mutter war so wie so schon längst alles klar. Seit ich die Mittelschule in Sandesneben besuchte und sich herausgestellt hatte, dass ich den Anforderungen dort einigermaßen genügte,  stand für sie fest: “ Dei Jung geht na dei Bahn urrer na dei Post, hei sall Beamter warden, dat is ein'n gauden Posten un denk blots an dei schöne Pension wenn hei denn mal uphört”.

“ Ich möchte gern zur See fahren und will Kapitän werden”, so sprach ich zu meinen beiden Ersatzvätern, recht selbstbewusst, wie ich meine. Schweigen! Beide hatten nicht die geringste Ahnung, wie das vor sich gehen sollte, was die Leute auf den Schiffen eigentlich so machten, wie viel verdient wurde, wie lange man unterwegs war und was das eigentlich alles sollte. Beide waren, außer in Kriegszeiten, nie aus der näheren Umgebung von Klinkrade herausgekommen und konnten sich auch gar nicht vorstellen, sich in der Welt herumzutreiben, wie sie sagten. Die Klischees waren vorhanden: Wasser hat keine Balken, die Seeleute führen ein liederliches Leben und saufen tun sie doch alle, überall haben sie Bräute sitzen und sie bleiben nur so lange an Land, bis sie ihr ganzes Geld verjuchheit haben, dann verschwinden sie wieder für lange Zeit und ein ordentliches Familienleben können sie überhaupt nicht führen, wie sollte das wohl gehen.

Der Kampf war eröffnet.
Erstmal war die Frage zu beantworten “ Wie büst du denn up dei Idee kamen?” Ja wie eigentlich? Schuld waren wohl in erster Linie die Bücher. Seit ich lesen konnte, war ich ein eifriger Konsument von Büchern aller Art. Zwar war der Haushalt meiner Mutter und  der der Großeltern sowie auch der von Karl Unkel bücherlos wie damals üblich bei den niederen Ständen. Außer einem Gesangbuch, ein paar zersplieserten Exemplaren der “Gartenlaube” und dem einen oder anderen “Lauenburgischen Heimatkalender” war nichts Gedrucktes zu finden. Aber es gab in Klinkrade ja die Volksbücherei, die später in “Gemeindebücherei” umbenannt wurde als der Gröfaz in seinem Bunker in Berlin schon lange elendiglich umgekommen war und das Wort “Volk” keinen so guten Klang mehr hatte. Diese kleine Bibliothek war in der Schule untergebracht und wurde von einem Fräulein Brise verwaltet, wenn ich mich an den Namen richtig erinnere. Gegen 5 Pfennig Leihgebühr konnte man sich ein Buch für 1 oder 2 Wochen ausleihen, Fräulein Brise hatte darauf zu achten, dass der Inhalt der Bücher dem Alter des Lesers angemessen war und ein 8 oder 10-jähriger Knirps sich keinen schlüpfrigen Liebesroman oder gar ein völkerkundliches Werk über afrikanische Negerstämme mit Fotografien von völlig nackten Menschen darin, auslieh. Das Fräulein mochte mich irgendwie und ich bekam alle Bücher von ihr  die ich nur wollte. Nachdem ich “Seefahrt tut not” von Gorch Fock verschlungen hatte, fand ich noch “Robinson Crusoe”, “Die Schatzinsel”, “Ekke Nekkepenn” (mit sehr eindringlichen Abschnitten über den Sklavenhandel), “Sigismund Rüstig” (ein deutscher Robinson-Verschnitt) , “Sidney Head oder Hölle in 60 Tagen”, (ein sehr spannender Bericht über eines der legendären Weizenrennen zwischen England und Australien ) und natürlich Hermann Melvilles herrliche Südseeromane “Typee” und “Omoo” und als Krönung dann “Moby Dick”.

Hier mal 2 Bilder die ich so oder so ähnlich in den Büchern fand und die meine Fantasie noch zusätzlich beflügelten aber die natürlich wenig mit der Realität Anfang der 50er Jahre des letzten  Jahrhunderts zu tun hatten. Aber sind nicht schöne Schiffe darauf zu sehen, und die Gegend erst, die Gegend, weit weg von Klinkrade und wunderschön, der Walfang dramatisch und die Bucht mit den ankernden Schiffen einfach romantisch!!

 

     
Dies könnte die berühmte “Pequod” aus “Moby Dick” sein.

  Und dies Captain Cook mit HMS ”Resolution"
und ”Adventure" vor Tahiti.


Also sagte ich den beiden Altvorderen, dass ich sehr viel über die Seefahrt gelesen hätte (was stimmte) und dass wir in der Schule viel darüber gesprochen hätten (was nicht stimmte) und dass man gute Aufstiegschancen hätte, dass man doch viel von der Welt zu sehen bekäme, und dass man niemand zu Hause auf der Tasche liegen müsste während der Lehrzeit. Denn Unterkunft und Verpflegung wären ja frei an Bord und zu Hause wäre doch so wie so alles sehr knapp bemessen und später, wenn man dann aufgestiegen wäre aus dem Mannschaftsstande zum Offizier und schlussendlich zum Kapitän, dann hätte man doch auch einiges Ansehen und wäre allseits respektiert und der Verdienst wäre wohl auskömmlich. Ich besorgte Material über die Anforderungen, die gestellt wurden, über die verschiedenen Dienstgrade und Werdegänge an Bord und wie lange alles dauerte und über notwendige Schulzeiten und Studiengänge zum Erwerb der Patente. Kurz, ich machte viel Reklame und Getöse für meine Sache und nach und nach neigten die Sympathien der beiden Grauköpfe sich der Idee “Seefahrt” zu. Meine Mutter aber blieb weiterhin stur, wie das so ihre Art war. Dann aber kam noch eine ganz gefährliche Klippe in Sicht: “ Du müßt je nu vörher noch 3 Monat tau Schaul in Travemünn, vörher laat sei di je goar nich an bord as du sülven seggt hest un denn müst du je ook noch ein Grundutrüstung hebben so as Öltüch, Südwester, Arbeitstüch, einen Seesack un wat doar süst noch all tauhört; dat all givt dat je nich ümsünst. Wat sall dat denn kosten un wer meinst du mütt dat betahlen?”

Das war nun die richtige Frage zum falschen Zeitpunkt. Wat nu?

Aber ich war ja nicht allein auf der Welt; ich hatte einen sehr guten Freund, der war ein Jahr älter als ich, ging auch in Sandesneben zur Schule und wollte genau wie ich zur See fahren. Wir unternahmen alles zusammen, wir hatten in den großen Ferien eine Radtour rund um Schleswig-Holstein gemacht; stracks nach Westen über Brunsbüttel bis zum Kaiser-Wilhelm Koog, dann an der Küste nach Norden über Meldorf, Büsum, St. Peter nach Husum. In Husum hatten wir einen Krabbenfischer überreden können, uns auf Fangreise mit hinauszunehmen. Morgens um 2 Uhr ging es los, unsere erste Seereise. Der Fang wurde an Deck geschüttet, Beifang aussortieren, Schollen, Knurrhähne, Dwarslöper uns hunderterlei andere kleine Fische, Mövenfutter. Die Krabben auf ein Sieb, nach Größe sortieren, in den Kessel, sofort kochen, in Kisten schütten; schon kam der nächste Hol an Deck. Ihr könnt essen soviel ihr wollt; hier ich zeig euch mal wie sie gepult werden! Der Kutter schaukelte, wir waren ein bischen käsig im Gesicht, an Krabbenessen war nicht zu denken, schon vom Geruch der gekochten Krabben , die ja eigentlich aussahen wie gekochte Engerlinge, wurde uns schlecht. Das war nicht die Seefahrt wie wir sie uns vorgestellt hatten.

“Es waren einmal 2 Ameisen, die wollten nach Australien reisen,
sie kamen bis zur Elbchaussee, da taten ihnen die Füße weh .......... (frei nach Ringelnatz)

Aber immerhin, wir hatten zum ersten Mal den Horizont, die Kimm wie es richtig hieß, gesehen, und das allein war aller Mühen wert.
Nun, die Reise mit dem Rad ging weiter bis nach Sylt , einmal im Freien übernachten in den Dünen, dann rüber nach Flensburg und an der Ostküste zurück nach Haus. 2 Wochen unterwegs, das nötige bischen Geld hatten wir uns mit Erbsenpflücken auf Gut Steinhorst verdient. Zur Feier meiner Rückkehr hatte Mutter beim fahrenden Fischhändler ein paar Krabben für teures Geld gekauft. Mir wurde schlecht.
Mit diesem Freund also setzte ich mich nun zum Kriegsrat zusammen. Er war mit seinen Bemühungen schon etwas weiter gediehen, da er ja ein Jahr früher los musste. So hatte er herausbekommen, dass es für Kriegswaisen und andere arme Leute einen Ausbildungszuschuss gab. Soviel er wusste, wurden die Kosten für die Schule ganz übernommen und die Kosten für die Grundausrüstung zum größten Teil. Dies war die Frohe Botschaft schlechthin. Die beiden Alten waren es zufrieden und die Mutter gab sich schließlich drein, da es ihr ja nun nicht mehr an den so wie so nicht vorhandenen Geldbeutel ging. Das Gegrummel nahm natürlich so schnell kein Ende, aber wenn der Großvater sich zu irgendetwas entschlossen hatte, blieb er auch dabei und in puncto Dickkopf konnte ich es mit der Mutter schon immer aufnehmen.
Es konnte also losgehen, nur die Schulzeit musste noch auf anständige Weise zu einem guten Ende gebracht werden. Das geschah, und am 14. April 1956, einem Sonnabend, reiste ich nach Travemünde und begann eine Berufslaufbahn die mir so unendlich viel mehr Freude als Verdruss gebracht hat.

Meine erste Arbeit an der Seemannsschule war Kartoffeln schälen für das Abendessen.

Die Mosesfabrik

Moses ist der unter Seeleuten gebräuchliche Name für Schiffsjunge. Der Moses ist der jüngste unter der Besatzung und ist wohl nach dem berühmtesten Träger dieses Namens benannt worden weil dieser schon als Baby in einem Weidenkorb zumindestens Binnenschifffahrt auf dem Nil betrieben hat. Die oben abgebildete Schule hieß denn bei uns angehenden Seeleuten auch nur “Mosesfabrik”. Sie war damals 1956 natürlich noch nicht so fein und vornehm wie heute. Ein übriggebliebener kleiner Marineflughafen aus glorreicher Zeit dessen Flugfeld gesprengt worden war und sich dort befand wo auf dem Bild die Sportanlagen im Vordergrund zu erkennen sind. Damals war die ganze Fläche übersät mit Betontrümmern und nahezu wegelos. Das Internat und die Schulungsräume befanden sich in dem langgestreckten Gebäude in der Mitte, die Werkstätten in dem halbrunden Gebäude rechts.

 
Die Schiffsjungenschule Travemünde-Priwall heute
Schleswig-Holsteinische Seemannsschule (SHS)
  Schulungsräume und Werkstätten


Es liefen immer 3 Lehrgänge zu je 30 Mann parallel, aber jeweils um einen Monat zeitverschoben. Jeder Lehrgang war eine Wache und es gab die Steuerbord-, Backbord- und die Mittelwache; außerdem lief auch immer noch ein Kochsmaatenlehrgang zu 10 Mann, das waren ausgelernte Bäcker oder Schlachter, die  kochen lernten, um dann später mal als Smutjes auf die seefahrende Bevölkerung losgelassen zu wer-den.
Der Betrieb war ziemlich militärisch organisiert, dauernd musste aus irgendwelchen Gründen wachenweise angetreten werden. Morgens gab es eine Flaggenparade und einen Zählappell, abends noch mal dasselbe; die Schlafräume und die Schränke wurden regelmäßig inspiziert und was  die Kommissköpfe sich sonst noch alles ausdachten. Ach so, es gab auch Gemeinschaftsstrafen, das heißt wenn irgendein Unsinn verzapft wurde, was bei jungen Leuten ja immer aus Übermut mal vorkommt, und der Täter konnte nicht festgestellt werden, wurde die ganze Wache bestraft. Flagge Lucy wurde das genannt. Eine beliebte Maßnahme war: Mitten in der Nacht, Trillerpfeifenlärm auf dem Korridor im Internat, Gebrüll: Backbordwache raustreten! Die zur Backbordwache gehörigen 30 Leute stürzten aus ihren Schlafräumen in Nachtzeug oder Unterwäsche und stellten sich im Korridor auf, der wachhabende Ausbilder befahl das unvermeidliche Abzählen, waren alle da, kam z. B. die Order: Alle Mann mit der Matratze auf dem Kopf vor dem Haupteingang Aufstellung nehmen, dann im Laufschritt dreimal um das Hauptgebäude, wieder Aufstellung nehmen, abzählen und zurück in die Koje. Es gab noch mehr von diesem hanebüchenen Unsinn. Wir Junioren nahmen das alles sehr von der lustigen Seite und wunderten uns nur, auf welche seltsamen Ideen ausgewachsene und sonst doch so ernsthafte Männer nur 10 Jahre nach der glorreichen Zeit schon wieder kamen, oder hatten sie vielleicht nie aufgehört zu glauben, dass man junge Männer nur mit Geschrei und Drill unter Kontrolle halten könne? Diese Männer würden es nicht leicht haben, wenn die demokratischen Ideen sich irgendwann durchsetzten. Es sollte gar nicht mehr lange dauern, weitere 10 Jahre etwa, bis diese Ideen sich durchsetzten und da hatten es diese Männer schwer und gingen (endlich) in Pension.
Einmal abgesehen von diesen folkloristischen Späßchen wurde aber die Ausbildung ernsthaft und gründlich durchgezogen. Die meisten von uns waren ja eher mit diffusen und romantischen Ideen dorthin gekommen und mussten jetzt zur Kenntnis nehmen, dass es erst einmal noch eine Menge zu lernen gab, praktisch wie theoretisch, um sich an Bord nicht gleich den Hals zu brechen und sich nur einigermaßen zurecht zu fin-den. Die Lehrlinge an Land gingen damals einmal wöchentlich zur Berufsschule, das ging in der Seefahrt natürlich nicht und wir machten die gesamte Berufsschulzeit in einem Rutsch in 3 Monaten ab, bevor wir an Bord gingen, dort 3 Jahre Lehrzeit durch-machten, nämlich je 1 Jahr als Moses, Jungmann und Leichtmatrose, dann zur Matrosenprüfung zugelassen wurden sofern die 3 Jahre durch ordentlich geführte und ordnungsgemäß von der jeweiligen Schiffsleitung geprüfte und abgezeichnete Berichtsbücher dokumentiert war. Die Prüfung fand zentral in Hamburg statt und bei erfolgreicher Ablegung wurde der Matrosenbrief ausgehändigt. So ging das.
Alles in allem war es eine schöne Zeit auf dem Priwall; es war früher Sommer mit dem herrlichsten Wetter, ich lernte viele neue Freunde kennen, und wenn wir Landgang am Wochenende hatten ergab es sich  wohl auch, dass wir in aller Unschuld nette Mädchen kennen lernten und mit ihnen zum Tanzen gingen; sehr beliebt war da  der “Kahn” in Lübeck nachmittags zum Tanztee oder am Abend das “Riverboat” zur Jam Session womit man bei vollem Bewusstsein eine saftige Disziplinarstrafe wegen zu langen Ausbleibens riskierte; das durfte man nicht zu oft machen.
Die Zeit verflog, der Lehrgang näherte sich dem Ende und man musste sich langsam um Anschlussbeschäftigung kümmern. Den Besten des Lehrgangs wurde eine Position
auf der “Pamir” oder der “Passat” angeboten, es war eine Ehre und eine große Auszeichnung wenn man auf den schönen und großen Rahseglern angenommen wurde; die Ehre musste allerdings bezahlt werden, es gab keine Heuer. Ich gehörte zu den Auserwählten aber da kam von zu Hause ein einstimmiges und kategorisches “Dat kümmt nich in dei Tüt, du müst nu gild vedeinen dat du di sülvst ünnerholen kannst, wat anners giwwt dat nich, basta.”  Na, der Versuch war ja nicht strafbar. 1 Jahr später versank die “Pamir” und mit ihr viele Menschen, darunter auch 3 Jungens aus meinem  Lehrgang. Manchmal rettet Armut auch Leben.
Ich wollte doch aber gleich auf ein Schiff in der “Großen Fahrt” gehen, denn die Welt sollte mein Feld sein - frei nach Albert Ballin. Aber auch hier mischte man sich höheren Orts ein, konspirierte hinter meinem Rücken mit der Schulleitung derart, dass man bat, mir doch, wenn es denn anginge, ein Schiff zu besorgen das nicht gleich gar so weit wegführe, so dass man mich noch um ein weniges besser im Auge behalten könne fürs erste. Dem Wunsche wurde entsprochen, ich musste schwersten Herzens akzeptieren, da ich immer noch nicht volljährig war und die Mutter das letzte Wort hatte. Das Schiff aber hieß “Werner Felter”, war ein Kümo von ca. 650 tons Tragfähigkeit und verkehrte hauptsächlich zwischen dem Hochofenwerk Herrenwyk bei Lübeck und der schwedischen Insel Gotland. Dort holte es Kalkstein, welcher als Zuschlagstoff bei der Eisenerzverhüttung notwendig gebraucht wurde. Von wegen “Große Fahrt” und weltweite Felder; erst wollte die Ostsee ausgiebig gepflügt werden. Tieftraurig war ich, dass ich nun fürs erste dieses unbedeutende Randmeer des großen atlantischen Ozeans befahren sollte.

Jetzt aber will ich erst mal mein erstes Schiff vorstellen. Hier ist es,wie es hätte sein können:


Ihre Majestät, die "Pamir"

Baujahr: 1905 Bauort: Hamburg, Blohm & Voss
Heimathafen: Lübeck Flagge: Deutsch
Typ: Viermastbark Rufzeichen: DKEF
BRT: 3102 Deadweight:     4500 long tons
HP: Segelfläche 3600m2
  16 kn max.
LOA: 114,5 m Fahrtgebiet: Große Fahrt
Letzter Kapitän: Diebitsch  

...und endlich an Bord


M/S "Werner Felter"
Reederei Felter aus Travemünde

Baujahr: 1941 Bauort: England
Heimathafen: Hamburg Flagge: Deutsch
Typ: Kümo Rufzeichen: DICL
BRT: 498 Tragfähigkeit: ca. 650 mto.
HP: ca. 400 PSe Speed:        ca. 8 kn max.
LOA: 38 m Fahrtgebiet: Kleine Fahrt
Nord- und Ostsee
Kapitän: Lenski Anmusterung: 20.7.1956 in Lübeck
Abmusterung: 15.3. 1957 in Lübeck Dienstgrad Moses u. Jungmann

Am vorletzten Tag auf dem Priwall wurde mir mein erstes Seefahrtbuch und der Heuerschein für mein erstes Schiff ausgehändigt, die Gesundheitskarte und den Impfpass hatte ich schon vorher erhalten nach erfolgreich bestandener Gesundheitsuntersuchung und durchgeführter Pocken- und Gelbfieberimpfung. So hatte ich alle notwendigen Papiere zusammen. In 6 Tagen, am 20.7.56 sollte ich in Herrenwyk anmustern, vormittags um 11 Uhr hatte ich mich am Liegeplatz in Herrenwyk einzufinden. Ich war um 11 Uhr da, das Schiff nicht. An der Pier lag nur ein kleiner alter Dampfer, der gerade mit Koks beladen wurde. “Du wartest sicher auf die “Werner Felter” sprach mich ein Hafenarbeiter an, “ die muß gleich kommen, hat Travemünde schon passiert, ich soll sie hier festmachen, kann nicht mehr lange dauern.” Na gut.

Ein quäkender Laut war zu hören aber nichts weiter zu sehen. “Ah, da ist sie ja, siehst du, da kommt der stolze Schwan schon um die Huk” sagte der Arbeiter mit einem niederträchtigen Grinsen. “Wo denn?” “ Na da doch, an der Ecke, sieh nur genau hin, so klein ist sie ja auch wieder nicht.” Ein erneutes Quaken erscholl und tatsächlich, ganz langsam schob, na ja, man musste schon sagen ein “Schifflein” sich um die Ecke, scheuerte an der Pier entlang und kam rumpelnd und schwarzen Qualm ausstoßend mit rückwärts laufender Maschine zum stehen. Von wegen, stolzer Schwan, ein hässliches graues Entlein war da herbeigeschwommen, tief abgeladen, marinegrau an-gestrichen, und dieses quäkende Geräusch wurde von einem Signalhorn verursacht, das ganz genau so klang wie die mit einem Gummiball betriebene Tröte an dem Motorrad von Fiete Aue wenn er auf unserer Dorfstraße die Gänse und Enten vor sich her scheuchte. Ich war enttäuscht, ganz maaaaßlos enttäuscht. Nun war ich aber mal da und die Sache musste angegangen werden, alle Papiere waren gültig und unterschrieben und ich wollte natürlich den eingegangenen Verpflichtungen nachkommen; auch kleine hässliche Schiffen fuhren zur See und brauchten eine Besatzung und ob der Kapitän die Heuer bezahlen konnte, würde man zur rechten Zeit in Erfahrung bringen.

Später stellte sich heraus, er konnte die Heuer bezahlen und mehr noch, es stellte sich auch heraus, dass ich einen ausnehmend guten Griff mit dem Schiff getan hatte, ich wurde gut behandelt und lernte viel, eigentlich mehr als man billigerweise erwarten konnte, da der Kapitän sich persönlich sehr um seine Junggrade (Lehrlinge) kümmerte. Es gab ausreichend und gut zu essen, auch wenn ich einen ganzen Monat lang Kombüsendienst hatte und kochen musste. Die üblichen Unzuträglichkeiten in der Kümofahrt waren hinzunehmen als da waren: äußerst beengte Unterbringung, lange Arbeitszeiten durch die Zweiwacheneinteilung, d.h. täglich 12 Stunden Arbeitszeit, auch an Sonn- und Feiertagen wenn das Schiff auf See war plus jede Menge Überstunden, die nicht bezahlt wurden. Als junger Mensch, der eh' nicht sonderlich verwöhnt war, konnte man das eigentlich ganz gut ertragen, besonders wenn das Umfeld stimmte, d.h. man gute Schiffskameraden hatte und die Vorgesetzten einen gut und gerecht behandelten und nicht auch noch schikanierten. Also, es war schon in der Ordnung, dass ich nicht gleich die Flinte ins Korn geworfen hatte, als mein hässliches Entlein da angeschwommen kam, sondern mich, wenn auch anfangs murrend, fügte. Es konnte ja nur noch besser werden. Also an Bord geklommen und mutig den Dingen die da kommen sollten ins Auge gesehen.

“ Du bist also der Neue, na, denn komm' man erstmal mit in die Messe, zum Alten kannst du auch nachher gehen, wenn er mit der Einklarierung fertig ist, da vorne kommt der Steuermann, bei dem kannst du dich ja schon mal vorstellen, der teilt dir dann auch gleich deine Koje zu, damit du weißt wo du hingehörst. So geschah es, der Steuermann war ein dürrer, langaufgeschossener Mensch, bekleidet mit einem recht schmierigen blauen Overall und mit ehemals weißer Offiziersmütze auf dem Kopf und, was das wichtigste war, mit einem freundlichen Grinsen im Gesicht. “Du wohnst mit dem Matrosen Karl und dem Jungmann Werner in einer Kammer. Mit Karl gehst du auch zusammen die 6-12 Wache beim Kapitän, deine Festmachestation ist achtern und, da du eben der neue Moses bist, musst die Messe, die Kammern und die Gänge sauber halten, das hat alles ohne weitere Anweisung zu geschehen, alle anderen Arbeiten bekommst du von mir von Fall zu Fall zugeteilt, und noch was: wenn die Matrosen dir was sagen, hast du unbedingt zu parieren. Geschieht das alles so, wie ich es dir jetzt erklärt habe, dann kannst du eine gute Zeit hier bei uns haben.” So war das also!

Nun machte ich mich mit den anderen Menschen an Bord bekannt, die sich in der Messe zu einer Mug Kaffee zusammenfanden. Das Schiff hatte insgesamt 8 Mann Besatzung:  Kapitän, Steuermann und Maschinist, das waren die höheren Ränge, sodann 2 Matrosen, 1 Leichtmatrosen, 1 Jungmann und 1 Moses, die repräsentierten das niedere Volk. Der Alte war nun auch mit dem Papierkram fertig, Zöllner, Wasserschutzpolizei und Agent gingen von Bord und ich konnte mich nun auch beim Kapitän vorstellen. Auch dieser gab mir ein paar freundliche Worte und auch er vergaß nicht, mich zu ermahnen nur alle Orders ohne Widerrede und ohne Säumen auszuführen .

Sehr diskussionsfreudig schien man an Bord ja nicht zu sein.

So war nun fürs erste alles geregelt und ich konnte meine hoffnungsvolle Laufbahn beginnen.

Tschüss bis zum nächsten Mal.

   
 

Oben eine Karte mit den Reiserouten, angelaufen wurden die Häfen Storugns, Slite und Visby auf Gotland, Rönne auf Bornholm und auf dem schwedischen Festland Malmö, Ystad, Stockholm, Gävle, Göteborg, Kristinehamn am Vänersee und Mariehamn auf den Alandinseln zu Finnland gehörig.

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Kleine Fahrt - Große Fahrt, eine Veränderung

“ So, dann komm' mal mit in deine Kammer, Klamotten verstauen und die Koje beziehen, dann Arbeitszeug an und raus an Deck, es gibt viel zu tun.” So sprach Matrose Karl und ab ging's nach unten, 2 Decks unter dem Poopdeck. Die Kammer mit 3 Kojen lag direkt am Maschinenraumschott, war winzig, 2 Kojen übereinander längsschiffs an der Bordwand und 1 Koje dwarsschiffs,direkt am Maschinenraumschott, das war meine Koje. “Auf der anderen Seite steht der Hafenjockel und solange im Hafen gearbeitet wird muß das Ding laufen ,so wie jetzt, dann musst du sehen wo du deinen Schlaf findest. Auf See läuft das Ding nicht, wir haben einen angehängten Generator.” erklärte Karl mir. Es war jetzt so laut in der Kammer, dass man sich nur mit erhobener Stimme unterhalten konnte. “Dein Vorgänger hat dann immer in der Messe auf der Bank geschlafen so lange der Jockel lief” sagte Karl noch “und nu sieh zu, dass du in die Gänge kommst” war seine letzte Empfehlung bevor er nach oben ver-schwand. “ Oh, oh, wat ditt woll ward,” dachte ich  und kam in die gänge wie befohlen.

Das Löschen der Ladung Kalkstein am Hochofenwerk in Herrenwyk ging schnell vonstatten, mit einem großen Greifer, der pro Hub 6 Tonnen mitnahm konnte das Schiff leicht in  einer Schicht leer gemacht werden und los ging es wieder auf die nächste Reise. Die 390 Seemeilen bis zum Ladehafen Storugns an der Nordspitze der Insel Gotland waren bei einer Geschwindigkeit von 8 Knoten in rund 2 Tagen zurückgelegt. Das Laden der 600 to Kalksteine ging auch schnell; die klein gebrochenen Steine kamen direkt aus dem nahegelegenen Steinbruch in Loren auf die Pier gefahren, ein Kran pickte die Loren an und hievte sie über die offene Ladeluke, ein Hafenarbeiter zog an einer langen Leine einen Sliphaken auf und der Inhalt der Lore rauschte in den Laderaum. Wenn der Nachschub aus dem Steinbruch klappte, war alles in 2 Schichten erledigt. Alles in allem war dieses also ein richtiger Schütteltrip und nach kurzer Zeit der Eingewöhnung wurde alles Routine. Schnell lernte ich, was es zu lernen gab auf  diesem Kümo und in der Ostseefahrt. Logis und Messe saubermachen, Backschaft machen, ein bischen kochen, Seewache gehen dabei abwechselnd Ausguck und Ruder gehen des nachts und Ruder gehen und an Deck arbeiten tagsüber, das Schiff seeklar machen vor dem Auslaufen und lade- oder löschklar machen nach dem Festmachen, Ankerspill bedienen, Ankerwache gehen wenn das Schiff wegen Schlechtwetter “vor Wind” lag in einer geschützten Bucht, Hauptmaschine abschmieren und Temperaturen und Drücke kontrollieren nachts wenn der Maschinist schlief und last but not least ein bischen schmuggeln in Schweden. Auch damals war Schnaps in Schweden schon sündhaft teuer an Land in den so genannten Monopolläden, deshalb war die erste Frage der Hafenarbeiter, wenn sie an Bord kamen und kein Zöllner in Sicht war “har du snaps?” Wer sagt da schon gerne nein, wenn er für den billigsten Fusel, den “Eau de Vie”, der damals zollfrei 1,75 DM kostete, 20 Kronen bekam; das war, glaube ich, etwa das fünffache.

Wären da nicht ab und zu ein paar andere Reisen dazwischen gewesen nach Stockholm zum Beispiel oder Rönne auf Bornholm oder eine sehr schöne Reise nach Kristinehamn am Vänersee noch zur Sommerszeit. In den großen Vänersee gelangt man über den schmalen Fluss Götaälv, der bei Göteborg in das Kattegat mündet. Mit Hilfe etlicher schmaler und hoher Schleusen wurde der beträchtliche Höhenunterschied zwischen Ostsee und dem großen Frischwassersee überwunden; die Flussfahrt ging durch eine wunderschöne und ruhige Landschaft, mit maximal 5 Knoten durfte man fahren, damit man nicht durch die Bugwelle oder den am Achterschiff entstehenden Sog das Ufer beschädigte oder gar einen friedlichen Angler mitsamt seinem Klappstuhl und Sonnenschirm ins Wasser riss. Bei der gemächlichen Fortbewegungsart konnte man Landschaft, kleine Dörfer und die Menschen, die immer freundlich herüber grüßten, in aller Ruhe betrachten und auch zurückgrüßen. Manchmal kam das Schiff dem Ufer so nahe, dass man bei ausreichender Gelenkigkeit auch Blumen hätte pflücken können. Die Flussfahrt dauerte etwa 10 Stunden (45 Seemeilen) dann kam der große See, der etwa 75 Seemeilen lang ist; Kristinehamn liegt ganz am nördlichen Ende und die Fahrt dauerte etwa 9 Stunden. Auch damals trieben sich schon viele Freizeitskipper dort oben herum; manchmal musste man sie mit dem Signalhorn daran erinnern, dass es auch auf dem Wasser so etwas wie Verkehrsregeln gab.

So verging die Zeit, mit Herbst und Winter wurde die Witterung in der Ostsee zunehmend ungemütlicher, nass und kalt und auch windiger. Immer öfter musste der Kapitän Schutz suchen um bei heftigem Sturm nicht unnötig in Gefahr  zu geraten; das Schiff hatte nur wenig Freibord und wenn der Seegang zu hoch wurde, stand das Deck dauernd unter Wasser und mit überkommenden Brechern war nicht zu spaßen denn die Lukenabdeckung bestand noch nach alter Weise aus hölzernen Lukendeckeln, die mit 2 Lagen Persenning abgedeckt und rund herum mit hölzernen Keilen verschalkt waren. Durchaus eine sichere Sache aber doch nicht so sicher wie die damals mehr und mehr aufkommenden stählernen Lukenabdeckungen. Was mich wunderte war, dass ich überhaupt nicht seekrank wurde, obwohl das kleine Fahrzeug so manches mal doch ganz erheblich zu Kehr ging. Die Seekrankheit war wohl schon durch mein Abenteuer auf dem Krabbenkutter erledigt. Gut so.

Eine neue Aufgabe wurde mir aufgehalst: ich wurde verantwortlich gemacht für eine an-heimelnde Temperatur im Schiff, d.h. ich musste Heizer spielen. Eine vorsintflutliche Koks-Zentralheizung sollte von mir liebevoll bedient und gewartet werden. War ich Hausmeister oder was??

Die erfahrenen Matrosen schwärmten von der Großen Fahrt und von großen Schiffen wenn wir in Mußestunden zusammensaßen. Große Fahrt war, wenn man tage- oder sogar wochenlang kein Land sah, nur die See in allen ihren Zuständen; glatt wie Seide und blank wie poliertes Metall , kein Windhauch , das Kielwasser meilenweit als schnurgerade Störung auf dem unendlichen Spiegel der  sich aber doch in langen Atemzügen hob und senkte wie es die immerwährende Dünung befahl. Delfine, Delfine begleiteten das Schiff, spielten in der Bugwelle, sprangen elegant wie sonst nichts auf der Welt, ihr Atmen war weit zu hören. Fliegende Fische wurden aufgescheucht von jagenden Bonitos und segelten in Schwärmen weg von den Jägern.

Oder: Aufgewühlte See im Nordatlantik, nach tagelangem Sturm aus NW haushohe See, Gischt und Schaum legen sich in Streifen, nachdem eine Kaltfront passiert ist, ist die Luft klar und frisch, belebend. Das Schiff musste mit dem Kopf auf die See gelegt werden, die Maschine soweit reduziert werden, dass das Schiff eben noch steuerfähig blieb und so sollte es den Sturm abreiten. Manchmal hatte es Mühe die Wellenberge zu erklimmen, besonders dann, wenn 3 Kaventsmänner in Folge auftraten, dann schaffte es den dritten meistens nicht mehr ganz und die letzten paar Meter Seewasser brachen sich über der Back und rauschten über Deck und Luken und gnade dem Seemann, der sich in diesem Augenblick an Deck befand und nicht gesichert war.

Oder: Tropennächte; oder: Fahrt durch die Passatregion; oder: Hurricans, Taifune, Willy Willie's, Tehuantepecer, Mistrals, Pamperos, Brüllende Vierziger; oder: Rossbreiten und Kalmen. So erzählten die Matrosen.

Große Schiffe waren: wenn der Dienst in 3 Wachen eingeteilt war, also 2 mal am Tag 4 Stunden und nicht wie hier 2 mal am Tag 6 Stunden; wenn die Seewache mit 3 Mann besetzt war, nämlich 1 Mann am Ruder, 1 Mann auf Ausguck und 1 Mann Flötentörn; wenn die Crew überwiegend in Zweimannskammern untergebracht war; wenn an Deck ausreichend Platz war, dass man sich auf Freiwache irgendwo in Ruhe unter ein Sonnensegel setzen konnte; wenn ein Koch und ein paar Stewards gefahren wurden und man nicht mehr selber kochen und Backschaft machen musste und anderen Annehmlichkeiten mehr. So erzählten die Matrosen und machten mir damit den Mund wässerig nach Großer Fahrt und großen Schiffen.

Es kam wie es kommen musste, ich nahm mir vor, nach meiner Ummusterung zum Jungmann und dem Verstreichen einer geringen Schamfrist danach, das Schiff zu verlassen und mein Glück wo anders zu suchen. Mitte Februar 1957 erklomm ich die nächste Stufe der Beförderungsleiter und 1 Monat später verließ ich das Schiff in Frieden und gutem Einvernehmen.

Nach kurzem Urlaub in Klinkrade ging ich nach Hamburg, suchte und fand Quartier im Seemannsheim an der Großen Elbstraße in der Nähe des Fischmarktes und meldete mich dann das erste Mal auf der Heuerstelle (von Seeleuten respektlos “ Heuerstall” genannt) bei Max, dem in Seefahrtskreisen wohlbekannten Heuerbaas von Hamburg. Die Zeiten waren gut und innerhalb von nur 4 Tagen hatte ich ein neues Schiff; die “Luise Bornhofen”, ca. 8500 tons Tragfähigkeit, 14 Knoten schnell, Motorschiff mit 3000 PS erst ein knappes Jahr alt, bei Blohm & Voß gebaut. Einsteigen sollte ich in Emden, das Schiff war auf Ausreise nach Mittelamerika.

Das war doch was.

Am 10. April 1957 reiste ich per Bahn nach Emden in Ostfriesland, leistete mir dort ein Taxi

zum Industriehafen, dem Liegeplatz des Schiffes. Na, was da an der Pier lag sah doch schon eher nach was aus, sehr vertrauenswürdig und gut in Farbe.


M/S "Luise Bornhofen"

Baujahr: 1956 Bauort: Blohm & Voss. Hamburg
Heimathafen: Hamburg Flagge: Deutsch
Typ: General Cargo Rufzeichen:  
BRT: 4991 Tragfähigkeit: ca. 8500 mto.
HP: ca. 3000 PSe Speed:        14 kn
LOA: 125 m Fahrtgebiet: Große Fahrt Fahrt
Weltweit Tramp
Kapitän: Hammer Dienstgrad Jungmann und Leichtmatrose
Anmusterung: 10.4. 1957 in Emden Abmusterung: 14.1.1958 in Holtenau

Tschüss bis zum nächsten Mal.

 

Luise Bornhofen

Noch kein Rost zu sehen, alles blitzeblank und innen roch das Schiff sogar noch ganz neu, dieser unverwechselbare Geruch nach frischem Holz und frischer Farbe. Die Kammern für die Crew befanden sich achtern direkt über Schraube und Rudermaschine, der Bootsmann wies mir eine Koje in einer Zweimannskammer an, in der schon ein Leichtmatrose wohnte.

Ab zum Funker und Papiere abgeben, dazu gehörten Seefahrtsbuch, Gesundheitskarte, Impfpass und der Heuerschein, gleich den Ziehschein aufgeben und die Musterrolle unterschreiben. Jetzt gehörte ich dazu und war mächtig stolz so ein schönes Schiff erwischt zu haben; Max sei Dank.

Die Beladung des Schiffes war noch in vollem Gange, lange Rohrbündel wurden von Landkränen in die Ladeluken versenkt und dort von den Stevedores an Ort un Stelle gut gestaut und gelascht. Es handelte sich um Bohrgestänge für Ölbohrinseln und Bohrplattformen in Venezuela, 2 Löschhäfen waren vorgesehen; zuerst Caripito am Rio San Juan der gegenüber von Trinidad in den Golf von Paria mündet und dann zu mehreren Plätzen im Maracaibosee direkt an den Bohrinseln im See. Eine Anschlussreise war noch nicht bekannt. Über Nacht sollten die Arbeiten abgeschlossen werden und am nächsten Morgen bei Hochwasser die Reise angetreten werden.

Um 0400 Uhr morgens wurde geweckt zum seeklar machen; die Beladung war abgeschlossen, alle Luken mussten seefest verschlossen werden, das Deck aufgeklart und alles was an Ausrüstung noch lose an Deck oder in den Stores herumlag musste gut gelascht werden, die Ladebäume abgelegt und ebenfalls in den Halterungen gelascht werden. Nach der Klarmeldung hieß es dann “Klar vorn und achtern”, jeder ging  auf seine zugewiesene Manöverstation nach vorne auf die Back oder nach achtern auf die Poop, der Rudergänger auf die Brücke. Die Festmacheleinen wurden aufgekürzt auf 1 + 1 vorn und achtern und die Schlepper festgemacht . Dann hieß es “Alles los vorn und achtern” und die letzten Leinen wurden losgeworfen und eingehievt. Die Schlepper bugsierten das Schiff vorsichtig in die Seeschleuse, der Wasserstand wurde dem auf der Ems angeglichen, das seewärtige Schleusentor geöffnet und langsam schob sich die “Luise Bornhofen” mit eigener Kraft jetzt ohne Schlepperhilfe aus der Schleuse in den Fluss, nahm Fahrt auf und fuhr unter Lotsenberatung auf der Außenems Richtung Nordsee. Es wehte ein frischer Wind mit Stärke 4 oder 5 aus Nordwest und bei Temperaturen von 6 Grad konnte man gut eine dicke Jacke vertragen. Bis zur Lotsenstation waren es knapp 30 sm, gute 2 Stunden. Der Lotsendampfer lag in der Nähe der Westerems Ansteuerungstonne und dort angekommen wurde die Fahrt reduziert, mit Backbordseite Lee gemacht und das kleine Lotsenversetzboot konnte ohne Gefahr längsseits kommen und den Lotsen von unserem Schiff zum Lotsendampfer übersetzen. Das war's also, jetzt waren wir unter uns und bis  zur Mündung des Rio San Juan im Golf von Paria, wo wir in etwa 14 Tagen anzukommen hofften, würde kein fremder Fuß mehr die Schiffsplanken betreten; wenn alles gut ging.

 

 
Deckwaschen (allerdings in einer wärmeren Gegend)   Holzdeck scheuern mit Sand


Der Tag verging mit Klarschiff und Reinschiff machen; aller Müll, Abfall und Schrott, der während der Hafenzeit angefallen war, ging über Bord (Umweltschutz? Wer kümmerte sich 1957 um Umweltschutz? Das Wort war noch unbekannt und die See war unendlich groß). Dann Decks waschen von oben bis unten mit hohem Wasserdruck aus der Feuerlöschleitung, Holzdecks schrubben mit Kaustik Soda und Sand, alle weiß gestrichenen Decksaufbauten Farbe waschen mit Grüner Seife, hartnäckigem Dreck wurde mit P3 zu Leibe gegangen. Es war ein richtiges Wasserfest und wer trotz Ankündigung seine Fenster oder Bullaugen nicht fest verschraubt hatte bekam schon mal eine Dusche ab und die Stewards, die die wasserdichten Außenschotten und die Lüfteröffnungen nicht fest verschlossen hatten, mussten nachher viel wischen und feudeln. Kurz, es brachte Spaß und als das Schiff dann sauber war und glänzte wie ein .....ei war jedermann zufrieden und die Welt war wieder in Ordnung.

An Backbord zog die Kette der Westfriesischen Inseln vorbei, Schiermonnikoog, Ameland, Terschelling, Vlieland und zuletzt Texel. Bei Texel Feuerschiff wurde Kurs auf die Straße von Dover genommen; dieser auch damals schon stark befahrene Engpass wurde spät abends bei Dunkelheit passiert und weiter ging's durch den Englischen Kanal unter der Englischen Küste vorbei an so bekannten und auch geschichtsträchtigen Landmarken wie Dungeness, Beachy Head, Start Point, Lizard Head und zuletzt Landsend mit den vorgelagerten, gefährlichen Felsklippen der Scilly Islands. Dann war die Welt erst einmal zu Ende, der große Atlantik nahm uns auf und eine lange, mittelhohe nordwestliche Dünung wiegte uns gar nicht mal unsanft. Der Wind wehte mäßig aus West, die Sicht war gut, Luft und Wassertemperatur lagen schon so bei 15 Grad und es konnte nur noch besser werden, denn unser Kurs war SW, Richtung Azoren, die in etwa 4 Tagen in Sicht kommen sollten.

Das Wetter wurde besser, je weiter wir nach Süden kamen. In der Gegend der Azoren schlief der Wind fast ganz ein, die Rossbreiten waren erreicht, etwa 2 Tage später setzte langsam der Nordostpassat ein, der unsere Fahrt noch etwas beschleunigte, so dass wir mit gut 15 Knoten dahinbrausten, die Dünung ließ nach und es lebte sich gut an Bord. Der 1.Offizier und der Bootsmann waren guter Dinge, beförderte doch das schöne trockene Wetter alle geplanten Instandhaltungs- und Verschönerungsarbeiten über die Maßen. Der Passatwind begleitete uns bis nach Trinidad wo wir durch die Bocas del Dragon in den Golf von Paria einliefen und gleich den Kurs hart nach Steuerbord änderten, um den Lotsen für unseren Bestimmungshafen in Guiria auf der venezolanischen Halbinsel Paria an Bord zunehmen. Caripito selbst hatte noch keine Lotsenstation, es war damals weiter nichts als ein kleines Urwaldkaff bei dem Öl gefunden worden war, vernünftige Hafenanlagen gab es auch noch nicht, alles sollte ja erst auf gebaut werden und wir brachten einen Teil der notwendigen Ausrüstung. Der Flussmündung war eine Barre vorgelagert, die nur bei Hochwasser passiert werden konnte, der Fluss selbst war schmal aber recht tief und konnte wegen fehlender Befeuerung nur tagsüber befahren werden. Wegen vieler scharfer Kurven gab es öfter Grundberührungen, was aber weiter nicht gefährlich war, da der Grund aus weichem Schlamm bestand. Schlepper gab es keine und ein Wendebecken von ausreichender Größe war auch nicht vorhanden. Um das Schiff auf Auslaufkurs zu bringen, wurde einfach mit dem Vorsteven bei auflaufender Tide in die Uferböschung gefahren und mit langsam laufender Maschine und hart Ruderlage das Fahrzeug langsam mit Hilfe des auflaufenden Wassers herumgedrückt. Bei diesem Manöver mussten alle Mann die Back verlassen, da von den überhängenden Ästen der große Urwaldbäume doch Teile abbrechen konnten und auch allerlei schädliches Getier an Deck fallen konnte. Ansonsten lag der Löschplatz am Arsch der Welt wo hauptsächlich Moskitos und Ölarbeiter zu Hause waren. Keine Spur von exotischen Mädchenschönheiten, weißen Palmenstränden und tollen Bars mit kühlen Cuba Libres oder Caipirinhas. Aber nur Geduld, alles zu seiner Zeit. In Caripito gab es nur eine stinkige Cantina, die ausgiebig von den Petroleros und den Stevedores und natürlich auch von den Seeleuten frequentiert wurde. Die Musicbox spielte ausdauernd den damaligen Hit “I'm just walking in the rain....” und Regen gab es ja auch genug in dieser Weltgegend, jeden Abend zwischen 6 und 7 goss es in Strömen, meistens mit zugehörigem Gewitter.

Nach 3 Tagen verließen wir diesen ungastlichen Ort samt seinen Moskitos und dem feucht-heißen Klima und der frauenlosen Cantina und versegelten nach Maracaibo immer an der venezolanischen Küste entlang; wie gut die frische Seeluft tat und die letzten verirrten Mücken waren ruckzuck ermordet.

In Maracaibo wurde kurz geankert, die Einklarierungsbehörden kamen an Bord und mit ihnen ca. 25 Crewboys. Das Schiff sollte mehrere Ölplattformen anlaufen und dort die Ausrüstungsteile löschen. Die Plattformen stehen im Wasser und sind im ganzen Maracaibosee verteilt. Hafenarbeiter gab es dort nicht, sie wurden also kurzerhand in Maracaibo an Bord genommen, blieben die ganze Zeit an Bord, schliefen, kochten und aßen an Deck und wurden auf dem Rückweg wieder in Maracaibo abgeliefert. Es wurden an allen freien Plätzen Sonnen- und Regensegel aufgeriggt, Hängematten aufgehängt und primitive Kochstellen eingerichtet; allenthalben stolperte man über diese Leute und deren Ausrüstung.
Es ging zu wie auf einem orientalischen Bazar. Die Leute verrichteten ihre Arbeit gut und schnell, verhielten sich korrekt und stahlen nicht; wir kamen gut mit ihnen aus. Sie luden uns ab und an ein, mit ihnen von den einfachen, aber scharf gewürzten Speisen zu essen; des abends machten sie viel Musik auf der Gitarre und sangen dazu und sie erzählten sich auch viele Geschichten von denen ich allerdings wegen mangelnder Spanischkenntnisse nicht allzu viel verstand. An Landgang war allerdings wieder nicht zu denken; es war schlechterdings kein Land in erreichbarer Nähe. In Maracaibo erfuhren wir dann auch, wohin die weitere Reise ging. Da in der Gegend, in der wir uns gerade befanden, keine Ladung für das Schiff aufzutreiben war, wurde eine Ladung Getreide von Argentinien nach Europa geschlossen, Ladehäfen sollten Buenos Aires und Bahia Blanca sein; die Löschhäfen würden erst während der Rückreise bekannt werden, da die Ladung während der Reise noch gehandelt wurde und erst der Endbesitzer festlegen würde, wo sie gelöscht werden sollte. Das war bei Getreide und anderen Massengütern durchaus üblich.

Eine lange Ballastreise also, 15 Tage mit leerem Schiff. Ereignisreich: die Linie wurde passiert und ich wurde zusammen mit etwa 10 anderen zünftig getauft; einen genauen Bericht über eine Äquatortaufe, von der ich auch gute Bilder habe, werde ich später geben. In Buenos Aires verlor ich meine Unschuld mit immerhin 18 Jahren (gibt es das heute noch?), darüber werde ich allerdings keinen genaueren Bericht geben und Fotos habe ich auch nicht. In Bahia Blanca lernte ich eine wolgadeutsche Familie kennen, die 1905, als in Russland die ersten Russifizierungsmaßnahmen vorgenommen wurden, über Uruguay nach Argentinien geflohen war und hier zu einigem Wohlstand gekommen war. Man sprach zu Hause noch einen alten süddeutschen Dialekt, war streng nationaldeutsch gesinnt und konnte gar nicht begreifen, dass wir im jetzigen Deutschland so gar nichts mehr vom großen Führer wissen wollten und auf die glorreiche Zeit überhaupt nicht gut zu sprechen waren. Man war sehr gastfreundlich und lud mich ein, wann immer ich Lust und Zeit hatte, zum Essen zu kommen. Das nahm ich gerne an, war doch die Küche an Bord eher eintönig und fad. Ich vergesse nie, wie die Frau des Hauses die großen Steaks direkt auf der blanken Herdplatte briet, ohne Pfanne, und auch die Spiegeleier, die noch obendrauf kamen, wurden direkt auf der Platte gebraten.
Mit dem etwa gleichaltrigen Sohn verband mich bald eine aufrichtige Freundschaft, seine Ansichten waren eher liberal zu nennen und der argentinische Peronismus war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Peron war ja erst 2 Jahre zuvor vom Militär gestürzt worden nachdem er kurz zuvor von Papst Pius XII exkommuniziert (sic!) worden war.
Also, während der immerhin 8 Tage Liegezeit in Bahia Blanca habe ich sehr gut gelebt und auch so manches Glas gutes Bier mit meinem Freund Norberto geleert.

Die Rückreise nach Europa war lang, 21 Tage auf See mit einer kurzen Unterbrechung zum Bunkern auf St. Vincent, einer der Kap Verde Inseln vor Afrika etwa auf der Höhe von Dakar.
Als Löschhäfen waren Dieppe in Frankreich und London und Hull in England endgültig bestimmt worden. Ohne Schäden am Schiff und ohne persönliche Blessuren wurden die Bestimmungshäfen erreicht.

  Und nun mal wieder Tschüs bis zum nächsten Mal auf einem anderen Schiff.

 

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